„Ich komm sowieso in die Hölle.“

„Ich komm sowieso in die Hölle.“

Marvin (Name geändert) zeigt Feriengästen mit seinem Pferdewagen die Schönheiten des Dorfes und der Umgebung. Er schwärmt von der alten Kirche und erwähnt am Rande, dass er selbst noch nie drin gewesen ist. Obwohl ich ihm das nicht so ganz glaube, sage ich: „Dann wird’s aber mal höchste Zeit!“ (Die Kirche ist wirklich wunderschön und wirkt auf mich mit ihrer historischen Ausstattung geradezu gemütlich.) Er guckt mich entsetzt an: „Ich gehe doch nicht in die Kirche!“ und nach ein kleinen Pause: „Ich komm sowieso in die Hölle.“

Da ich ihm als Fremdenführer zuzuhören habe, sind die Rollen klar verteilt, und ein tiefergehendes Gespräch kommt leider nicht zustande. Aber immerhin hat er mir mit seinem Einwurf eine Steilvorlage zugespielt: Ist Marvin „fertig“ mit Gott? Falls er mal Konfirmand war – wie und was wurde ihm von Gott erzählt? Als „strenger Richter aller Sünder“, der „ihm so schrecklich droht“, wie es in einem zum Glück abgeschafften alten katholischen Kirchenlied hieß? Marvin erzählt uns Gästen, wie glücklich ihn seine beiden Pferde machen, selbst wenn es mal „Meinungsverschiedenheiten zwischen uns“ gibt. Er würde sie gegen kein Geld der Welt eintauschen wollen. Sein Geheimnis: „Meine beiden wissen, dass sie sich auf mich verlassen können. Dann kann ich mich auch auf sie verlassen.“

Er erzählt auch, wie er dort angefangen hat, ohne jemanden zu kennen, und wie einsam er sich zuerst gefühlt hat, weil ja auch keiner von den Bewohnern ihn kannte – bis ihn sein Chef mitgenommen und den Kollegen vorgestellt hat. Da war das Eis ganz schnell gebrochen. Später auch zu denen, die nichts mit Pferden zu tun haben.

Ohne einen Plan hat Marvin uns zwei Lebensweisheiten vermittelt:

1. Verlässliche Beziehungen sind das A und O des Umgangs miteinander.
Ich wünsche Marvin die Erfahrung, dass das auch für Gott gilt. Er ist ja in Jesus Mensch geworden, einer von uns. Dieser Gott spricht durch seine Geschöpfe, die beiden Pferde, seit Jahren zu Marvin und schenkt ihm ein wenig Glück. Wie schön wäre es, wenn Marvin (und wir!) die Freundschaftsangebote Gottes annehmen könnten, indem wir z.B. lernen, ihm „Danke“ zu sagen? Das muss man nicht unbedingt in einer Kirche tun, das geht auch auf dem Kutschbock, im Stall oder auf der Weide. Jesus kennt sich mit solchen Locations aus…

2. Was Marvin als Pferdeführer macht, hat er auch selbst erlebt.
Als sein Chef ihn zu den Menschen des Dorfes geführt hat, hat Marvin sich führen lassen. In dem Moment, in dem ich Jesus die Zügel meines Lebens in die Hand lege, darf ich aber die überraschende Erfahrung machen, dass Jesus mir die Zügel wieder zurückgibt und sagt: „Du bist frei, und nun tue das, was Dein Gewissen Dir als richtig zuspricht. Hier, nimm die Zügel wieder fest in die Hand und gehe mutig Deinen Weg. Du kannst Dich auf mich verlassen!“

„Wer Gott, dem Allerhöchsten, traut, der hat auf keinen Sand gebaut“ (GL 424, EG 369). Wenn Gott auch uns Menschen trauen kann, wie es zu guten wechselseitigen Beziehungen gehört, dann kommt Marvin bestimmt nicht in die Hölle. Jedenfalls wünsche ich, dass der Himmel immer offen über ihm ist, so wie man es in seinem Dorf eindrucksvoll erleben kann.