Die zwanziger Jahre

Die zwanziger Jahre

„The roaring 20th“ hießen sie im vorigen Jahrhundert. Wir können nur beten, hoffen und uns bürgerschaftlich engagieren, dass die Weichenstellungen, die vor uns liegen, nicht wieder im kriegerischen Chaos enden und wir die gute Schöpfung Gottes nicht vollends ins Verderben stürzen. Mutige Entscheidungen sind angesagt, nicht nur politisch, auch für die Aufgaben, vor denen alle Kirchen dieser Welt stehen. „Ich bin die Tür zu den Schafen“ sagt Jesus (Joh, 9. 10). Das ist die missionale und methodische Prämisse. (So steht es auch in der Liturgiekonstitution Nr. 9 – bevor es überhaupt um [Eucharistie] gehen kann.)

„Davon erzählen, was wir mit Gott erlebt haben“ ist das eigentlich einfache Fazit der Weihnachtspredigt im Osnabrücker Dom. Schließlich war „Im Anfang  das Wort“, so heißt es im Weihnachtsevangelium des Johannes (1, 1). Evangelisieren ist unser Grundauftrag. Können wir es denn? Zu viele klagen darüber, in ihren Kirchengemeinden dafür nicht fit genug gemacht worden zu sein. Jesus fing mit drei Leuten an, die er mitten in ihrem Berufsalltag kennengelernt hat (Andreas, Johannes, Petrus), d. h. Jesus ist dorthin gegangen, wo sie arbeiteten und lebten.  Zum Jahreswechsel ruft [Bischof Franz-Josef Bode] dazu auf, kleine Erzählgemeinschaften des Glaubens zu bilden. Er möchte mehr Frauen als Evangelistinnen sehen und Priester im Nebenamt, die Familienkompetenz haben und sich leibhaftig  mit den Höhen und Tiefen der Kindererziehung auskennen. Ich finde das überhaupt nicht revolutionär – müssten es doch eigentlich Selbstverständlichkeiten sein!

Andere haben eine Vision – ich habe ein Projekt!

„Gründet Hauskirchen“ hat der damalige Bischof von Fulda den katholischen Charismatikern [bei ihrer 50-Jahr-Feier] zugerufen. Beim [Katholikentag in Münster] habe ich Heinz Josef Algermissen getroffen und gefragt, ob er Rückmeldungen bekommen habe, wieviele das in die Tat umgesetzt haben: Null. Nun, ich war so frei ihm zu berichten, dass ich in den letzten Jahren drei solcher regelmäßigen Initiativen in Osnabrück mit aus der Taufe gehoben habe: Einen Gemeinde-Gebetskreis, das multikonfessionelle „Gebet für Stadt und Land“ am Vormittag (an dem sich immerhin ab und zu sogar eine hauptamtliche pastorale Mitarbeiterin beteiligt…) und einen Praise & Worship-Abend. Daneben versuche ich, alle offenen Gebetsinitiativen miteinander zu vernetzen und [im Internet zu präsentieren], als Vorstufe für so etwas wie ein Gebetshaus, das es in unserer Nachbarschaft bereits gibt [Bremen], [Bielefeld].

Hauskreise, Kleine Christliche Gemeinschaften, sind ja nichts Neues. Sie sind ein probater Weg, der Glaubens-Anonymisierung in fusionierten Großgemeinden entgegenzuwirken. Richtig konsequent umgesetzt wird das nur in der evangelikalen Szene. Mentoring-Programme wie die [„Natürliche Gemeinde-Entwicklung“] sucht man in den Traditionskirchen unserer Stadt vergebens – gleichwohl gibt es sie, jenseits ihres Tellerrandes. Die Forderung PP. Franziskus‘ nach einer missionarischen Kehrtwende kirchlicher Aktivitäten bis in die letzte Gemeindegruppe und den letzten Terminkalender hinein wird nur in den Freikirchen professionell umgesetzt [z. B. damit], und das schon lange bevor der Bischof von Rom die Zeichen der Zeit erkannt hatte.

Ich träume von einer missionarischen Entscheidung, die fähig ist, alles zu verwandeln, damit die Gewohnheiten, die Stile, die Zeitpläne, der Sprachgebrauch und jede kirchliche Struktur ein Kanal werden, der mehr der Evangelisierung der heutigen Welt als der Selbstbewahrung dient. Die Reform der Strukturen, die für die pastorale Neuausrichtung erforderlich ist, kann nur in diesem Sinn verstanden werden. (EG 27)

Abendmahlssaal im Osnabrücker Ostergarten

Neuer Glaubensbasics-Wein in den alten Schläuchen der mittelalterlichen kirchlichen Hierarchie – das wird sie zerreißen (Mk. 2, 22 par). Was zur Folge hat, dass traditionalistische Kreise mit allen Mitteln versuchen werden, diese irgendwie noch zu retten. Hierarchien, die ihren eigentlichen Auftrag verraten, gehören abgeschafft. Nach meinem Eindruck haben der deutsche Verbands-Katholizismus und der deutsche Kultur-Protestantismus viel zu viel Angst vor charismatisch entschlossenen Christen quer durch alle Konfessionen, die die Sakramentalität einer „ Kirche zum Anfassen“ selber in die Hand nehmen und nicht immer nur Appelle ihrer Hauptamtlichen hören wollen. Die weltweite Pfingstbewegung hat auch in unserer Stadt ihre durchaus bunten Dependancen. Meine kleine Gemeinde wird das [Ostergarten-Projekt] 2020 zum dritten Mal durchführen und wie schon zuvor tausende von Kindern und Erwachsenen mit Jesus in Berührung bringen.

…weil die Herde selbst ihren Spürsinn besitzt, um neue Wege zu finden. (EG 31)

Wichtigstes Highlight 2019 für die Traditionskirchen war daher der [„Divine Renovation“-Kongress] in Fulda mit P. James Mallon [siehe „Literatur“]. Handwerkszeug für die Gründung Kleiner Christlicher Gemeinschaften bzw. Hauskreise oder Zellgruppenin den Traditionskirchen – bis in die Kirchenpresse hinein kaum beachtet. Ein pastorales Zukunftsmodell, das vom multikonfessionellen [Alpha Deutschland] verantwortet wird. Hier geht es in internationalem Maßstab um Strategien, die Basics des Glaubens und den Grundauftrag aller Kirchen auf Gemeinde- und Gruppenebene auf den Weg zu bringen.

2. v.r.: Roberto Bottrel in Wiedenest 2018

Ein Zweig davon sind „missionarische Zellgruppen“, deren Organisationsstruktur konfessionsübergreifend schon vor einigen Jahrzehnten von Korea aus über Amerika, brasilianische Baptisten, bis in die kath. Kirche der romanischen Länder Europas vorgedrungen sind (sog. „Mailänder Modell“). In Deutschland gibt es „Pfarrzellen“ und „Neulandzellen“ m. W.  in Kempten [in St. Anton kann man dazu umfangreiche Printmedien bekommen] und Bensberg, und in einer [verwandten Initiative] des „Forums Wiedenest“ an mindestens zehn  freikirchlichen Standorten.

Nach einem Jahr intensiver geistlicher und organisatorischer Vorbereitung mit entspr. Leiterschulung wird die Andreas-Gemeinde Osnabrück im Frühjahr 2020 damit beginnen ein elfter Standort zu werden. Wenn es gut geht, und Gottes Agenda für unsere Stadt entspricht, kann es zu einer missionalen Alternative zur herkömmlichen „Mainstreampastoral“ heranwachsen und sehr schnell über alle Konfessionsgrenzen hinweg die Weichen stellen, die für die gesellschaftliche Kompetenz und Akzeptanz der Kirche von Osnabrück in den 20-er Jahren erforderlich sein werden!

Meine persönlichen Konferenz-Highlights 2020 werden sein:

1. Die Mitarbeiterkonferenz des Mülheimer Verbands [ECHT!] 24.–26.04.2020 in Ellmendingen bei Karlsruhe mit intensivem Input und Erfahrungsaustausch und -weitergabe;

2. „Pfingsten 21“, das zum zweiten Mal von der kath. CE, der ev. GGE und der GGE im Bund Freikirchl. Gemeinden (Baptisten) in Würzburg veranstaltet wird und bei dem ich [wieder im Backstage-Team] mitarbeiten werde;

3. Der Regionaltag des [Zukunftsforums der Evangelischen Allianz in Deutschland], der am Fr. 9. Okt. 2020 in Bremen stattfindet und die missionalen Projekte im Nordwesten bündeln soll.

Und eine externe [geistliche Woche] in welcher Form auch immer. Das ist eine Übung, die schon während meiner Berufstätigkeit als Gemeindereferent sehr hilfreich war. „Ich glaube – hilf meinem Unglauben“ (Mk. 9, 24) so heißt die ökumenische [Jahreslosung] 2020. Diesmal ist sie spirituelles „Schwarzbrot“ (Landessuperintendentin Birgit Klostermeier in ihrer Abschiedspredigt zu Neujahr im Osnabrücker Dom). Wenn ich ehrlich bin, ist auch mein Glaube angefochten und keineswegs von Fragen und Zweifeln frei. Darum mag ich es nicht, Leute in „gläubige“ oder „ungläubige“ Schubladen zu stecken. Glaube ist für mich eine totale „Beziehungskiste“ zwischen dem lebendigen Gott und mir und umgekehrt. Wenn „Gott“ nur eine philosophische Begrifflichkeit an den Grenzen der Wissenschaft darstellt, oder mein Konsumverhalten zu meinem Gott wird, bin ich durchaus „Atheist“.  Jesus, ich glaube dir – hilf meinem Unglauben und bewahre mich vor evangelikalem Hochmut!