Lange gewünscht, dann geplant, und jetzt endlich gemacht:
Meine Pedalpilgertour zu den Klöstern in der Lüneburger Heide. Und ich hatte mir in den Kopf gesetzt, alle sechs anzufahren! Die Route habe ich sorgfältig zusammengestellt: Zuerst die vorhandenen Pilgerwege hochgeladen, und dann mit den Radfernwegen abgeglichen. Dabei kam heraus, dass zwar nicht alle Pilgerweg-Abschnitte, aber doch weitaus die meisten mit dem Rad befahrbar sind, nämlich wo sie mit den Radfernwegen deckungsgleich sind. Lediglich die beiden Flussradwege Aller-Radweg und Ilmenau-Radweg haben (und das auch nur abschnittsweise) seperate Fußpilgerwege direkt an den Flussschleifen entlang. Bei den übrig bleibenden Zwischenstücken zwischen den Klöstern habe ich nach weiteren, lokal ausgewiesenen Radwegen gesucht (das geht mit [Waymarked Trails]). In der Ostheide blieben dann nur noch 18 km, die ich „frei“ planen musste. Zusammenfügen kann man alles mit dem [Online-Editor für gpx-Dateien].
Ich wollte die Klöster aber nicht nur touristisch entdecken, sondern auch ein geistliches Event starten. Pilgern mit dem Fahrrad ist inzwischen kirchlicherseits „anerkannt“. Auf dem Jakobsweg nach Santiago de Compostela braucht man nur 200 km per Rad. Unterwegs zwischen Kloster Walsrode und Bad Fallingbostel habe ich einen Fußpilger getroffen: Ein Spanier, auf dem umgekehrten Weg, nämlich von Santiago [nach Trondheim]. 5 Jahre hat er dafür veranschlagt (ohne sich den Bart zu rasieren) …
Das EKD-Projekt „[Radwegekirchen]“ hat pastorale Standards für offene Kirchen entwickelt, mit denen Gemeinden sich (konfessionsübergreifend) zertifizieren lassen können. Kirchen offen zu halten, fällt evangelischen Gemeinden immer noch sehr schwer – sie wollen keine „Gotteshäuser“ sein für eine separierte Gegenwart Gottes, der mir in jedem Mitmenschen (vgl. Mt. 18, 20) und in der Schöpfung begegnet (also „draußen“). Die Zeit der Betonung konfessioneller Gegensätze ist aber längst vorbei – das sollten auch die Leitungsverantwortlichen in Dorf und Stadt begreifen. Die Angst vor Ehrfurchtslosigkeit von Touristen, oder gar Vandalismus oder Kunstdiebstahl soll aber auch nicht zur Wahrnehmung von „Kirche als geschlossener Gesellschaft“ führen. Ängstlichkeit tut dem kirchlichen Grundauftrag zu evangelisieren nicht gut! Auch Dorfgemeinden oder Klosterkonvente haben als Christen (!) einen missionarischen Auftrag – an einem Radfernweg umso mehr, und an einem Pilgerweg sowieso. Da ist offensichtlich noch viel Überzeugungsarbeit nötig! Eine Kirche ist halt die Visitenkarte einer Gemeinde oder Gemeinschaft. „Sorry, nix los bei Euch… Alles zu…“ Plakate mit der vorletzten Jahreslosung vergilbt, Webseiten mit Terminen von vor zwei Jahren – ein fataler Eindruck! Zum Glück gab es auch viele erfreuliche und Mut machende Erlebnisse.
Vorher habe ich zu Hause nach einem geistlichen „roten Faden“ für die Pilgerwoche Ausschau gehalten. Die ursprünglichen Namen (Patrozinien) der Klöster sind nicht mehr so aktuell, und der Museumsbetrieb anhand der erhaltenen Ausstattungsstücke sehr speziell (Stickereien, mittelalterliche Weltkarte, Hungertuch). Was also ist für heute nötig? Hoffnungsorte brauchen wir! Das sollten Gemeinden, Gemeinschaften, Initiativen sein. Kirche eben nicht nur als Museum, sondern als Ort, wo Perspektiven der Hoffnung besonders für die kommenden Generationen aufleuchten: Weltfrieden und Klimaschutz sind die Themen der aktuellen Jugendstudien! Dabei ist mir klar geworden, dass Hoffnung nicht nur eine persönliche Lebenshaltung ist und eine eigene Überzeugung widerspiegelt. Sie ist mehr als irgendwie eine positive Einstellung zum Leben („ein optimistisches Mindset“). Sie hat ganz praktische Auswirkungen auf meine Umgebung, nämlich wenn ich Hoffnung verschenke, und weil damit eine Begegnung zum Hoffnungs-Momentum wird. Also nicht nur Räume anbieten, sondern Beziehungen knüpfen. Menschen zusammenzuführen ist die [Hauptaufgabe einer missionalen Pastoral] (Gemeindearbeit). Der Praxistransfer der Hoffnung heißt „Barmherzigkeit“!
In der spirituellen Tradition christlichen Glaubens wird Barmherzigkeit auf alle möglichen Ebenen ausdifferenziert: 7 klassische Aktionen, jeweils „leiblich“ und „geistig“, und seit PP. Franziskus noch mit einer 8., nämlich zur Bewahrung der Schöpfung. Da liegt es nahe, sich für jeden Pilgertag zwei dieser praktischen Anwendungen vorzunehmen und nachzuspüren, wie und wo sie unterwegs wahrzunehmen wären, an welchen Orten und durch welche Begegnungen – um in der Evaluation zu Hause festzustellen, welche Entscheidungen hinsichtlich des eigenen Lebensstils getroffen werden müssen. Auch das soll [in meinem Pilgerweg-Tagebuch] wenigstens im Ansatz deutlich werden.

Barmherzigkeit hat Walter Kasper (schon zwei Jahre vor dem Pontifikat von PP. Franziskus) theologisch analysiert („Barmherzigkeit: Grundbegriff des Evangeliums – Schlüssel christlichen Lebens,“ Freiburg (Herder) 2012, ISBN 978-3-451-30642-6). Um auf eine mehr spirituelle Ebene zu kommen, habe ich mir das Buch von Hans Buob „Die Barmherzigkeit Gottes und der Menschen – Heilmittel für Seele und Leib nach dem Tagebuch der Schwester Faustyna“, Hochaltingen (Unio) o.J., ISBN 978-3-935189-26-2, besorgt – und „auf halber Strecke“ aufgegeben, es als Vorbereitung für meine Pilgerfahrt zu lesen. Buob stellt in Exerzitien-Vorträgen die Visionen von Schw. Faustyna Kowalska vor. Für mich wurde deutlich, dass Schw. Faustyna in einer sehr toxischen (vergiftenden) religiösen Atmosphäre aufgewachsen sein muss, und im Kloster leider nicht sehr viel bessere Erfahrungen gemacht hat. Ihre Visionen sind wohl der einzige Ausweg gewesen, dagegenzuhalten, um nicht gänzlich ihrer Persönlichkeit beraubt zu werden. Ihre Hingabe an einen priesterlichen Coach grenzt an geistlichen Missbrauch und kann keineswegs den Anspruch erheben, vorbildlich zu sein. Daran ändert auch die Heiligsprechung von Schw. Faustyna nichts. Das Buch stellt das alles ziemlich unkritisch dar – eine enttäuschende Lektüre. So habe ich also auf eigene Faust versucht, Barmherzigkeit als Herausforderung für mich und für die Zukunft auszuloten.

Hat mich die Pilgerwoche verändert? Ja: Die Art wie die Klosterkonvente leben, war neu für mich. Bildungshaus (Krelingen) und Gebetshaus (Uelzen) haben viele Fragen „aus der Versenkung“ geholt, denen ich nachgehen möchte. In der Gemeinde am Sonntag (Gr. Oesingen) wurde die Spannung deutlich, in der wir Christen stehen: Den Glauben als plausibel für postmoderne Menschen zu bezeugen. Das geschieht heute weniger als Wahrheitssuche auf dogmatischer Ebene, sondern eher als Erfahrung der Nähe Gottes auf der Ebene persönlicher Beziehung. Wenn ich Gott nicht an mich ranlasse, kann ich auch nichts davon merken, dass er sich für seine Schöpfung und für mich interessiert. Die kirchliche Tradition möchte das gerne an ihre Amtshandlungen binden (Confessio Augustana 7, Kath. Katechismus 1547) – „Gnadenmittel“, exclusiv nur von geweihten bzw. ordinierten Häuptern entgegenzunehmen… Dabei weht der Geist Gottes, wo er will (Joh. 3, 8), und öffnet ganz neue Horizonte (Offb. 21. 5). Freikirchen (neben der [SELK]) zeigen, dass ein klerikales Amt in der Struktur des Staatskirchenrechts aus dem Mittelalter nicht die Voraussetzung sein muss, dem kirchl. Grundauftrag nachzukommen und ihn auszuführen. In der Form wird es von Jesus in seiner Aussendungsrede auch gar nicht gefordert (Mt. 28, 19 ff.). Paulus meint in 2. Kor. 5, 20: Wir sind Gesandte an Christi statt. Er sagt das der gesamten korinthischen Gemeinde: Männer, Frauen, Kinder… und nicht nur Aposteln oder Männern. Keine Beschränkungen! Alle sind berufen, die Person Jesu Christi in ihrer Umgebung vollmächtig in Tat und Wort zu vergegenwärtigen – z.B. indem wir Barmherzigkeit üben, anstatt unsere kostbare Zeit als Kirchen mit endlosen Diskussionen über Frauenweihe/-ordination und Sexualethik zu vertun (vgl.auch EG 120 ff).
In der Pilgerstelle der [Serviceagentur der ev.-luth. Landeskirche Hannovers] wurde ich ermutigt, mangels Vorhandenseins einer offiziellen Route, einen Radpilgerweg zu allen sechs Klöstern selber zusammenzustellen, und: „… ein Tagebuch wär sicher gut!“ Es hat Spaß gemacht, das zu tun, und hier ist das Ergebnis (zum Nachfahren und Nachmachen).
Alle Etappen mit Tagebuch, allen gpx-Dateien, Streckenbeschreibungen (in Kurzform und ausführlich), Übernachtungstipps, allen geistlichen Tages-Impulsen, vielen Fotos und mit Fazit nach vollbrachter Pedalpilgerfahrt. Gefahren bin ich (mit Muskelbike) auch bei weit über 30°, mit 6,5 kg Gepäck inkl. nicht gebrauchtem Regenzeug trotz Wolkenbruchs ganz kurz vorm Zielbahnhof, vorgebuchten Übernachtungen, D-Ticket, zwei Niedersachsen-Fahrradtagestickets, all incl. bei einem Budget knapp über 500 €, von dem 4/5 privat gesponsert war. Danke! Es war sehr schön:
Wieder zu Hause bin ich dann noch auf ein „Kontrastprogramm“ zu Schw. Faustynas Visionen gestoßen: „Barmherzigkeit heute – Mit offenen Augen leben.“ Ein Projektbericht aus theol. Grundlagen und religionspädagogischen Aktionen mit Neuntklässlern (auch schon aus dem Jahr 2019…), hg. von Christiana Idika (engl.), Paul Metzlaff, Martin W. Ramb und Holger Zaborowski, Freiburg (Herder), ISBN 978-3-491-37896-6 (18,00 €). Ich habe es noch nicht durch, aber ein Abgleich mit meinen eigenen Erfahrungen besonders aus der Pilgerwoche wird spannend! Aus der [Immanuels-Gemeinde] in Groß-Oesingen nehme ich den Gesprächskreis „Glaube im Alltag“ als Idee für die [„Living-Rooms“] meiner Gemeinde mit. Auch die [Communi-App] wäre noch ein lohnenswertes Projekt (wie bezahlen?).
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