Die (katholische) Kirche in Deutschland steht vor einem Prozess des Change-Managements, dessen Brisanz drei Jahre nach „Evangelii Gaudium“ auf den Leitungsetagen und in den Gremien vielerorts immer noch nicht begriffen wird. In den Bistümern und Landeskirchen werden Strukturen lediglich angepasst, durch Fusionen zu Mega-Pfarreien und -Kirchengemeinden. In einigen werden neue Leitungsmodelle (mit sog. „Laien“ nach Can. 517 §2 CIC) eingeführt. Alles Maßnahmen „top down“, vom mehr oder weniger „grünen Tisch“. Das hat – verbunden mit traditioneller Priester- und Pastorenzentriertheit – viel Unverständnis an der Gemeindebasis zur Folge, und teilweise lange schwelende Konflikte um geografische und finanzielle Probleme, die Erneuerungsprozesse blockieren. Hier und da werden sie durch kirchenbehördliche Machtworte beendet, was in den schlimmsten Fällen Austritte oder neue Kirchenspaltungen hervorruft (Wilhelmshaven: aus Unfrieden heraus Neugründung einer altkath. Gemeinde).
Der Masterplan „Evangelii Gaudium“ und „Gemeinsam Kirche Sein“ gehen einen anderen, geistlichen Weg: Evangelisierung und charismatische Erneuerung auf allen pastoralen Ebenen! Motivation zu innovativen Gemeindemodellen und kreativen Projekten! Bekehrung (warum immer noch diese Angst davor? Fundamentalismus ist nach SC 9 und EG 3 völlig unbegründet!) und Charismenorientierung „funktioniert“ immer „bottom-up“. Eine vergrößerte Pfarreistruktur als Chance zu „Kleinen Christlichen Gemeinschaften“ wahrnehmen, in denen das freikirchliche Haus- und Bibelkreismodell planvoll (!) als Untergliederung eingerichtet wird, in der „Gemeinde“ nicht als kirchenrechtlicher Topos, sondern als Sozialform verstanden wird. „Kirche wächst durch Anziehung“, sagt PP. Franziskus in EG 14, und schon 2007 hat er für Buenos Aires das Modell [„Bergoglios Garage“] skizziert:
„Wenn ihr könnt, mietet eine Garage, und wenn ihr den einen oder anderen disponiblen Laien auftreiben könnt, dann lasst ihn nur machen! Er soll sich um diese Leute hier kümmern, ein bisschen Katechese machen, ja, auch die Kommunion spenden, wenn er darum gebeten wird.“ (Interview mit der ital. Zeitschrift „30 Tage in Kirche und Welt“.)
Nur so können beziehungsstarke Gemeinschaften entstehen:
- der Glaube als persönliche Beziehung zwischen Gott und Mensch wird als Basis für Lebensqualität und Engagement existentiell tragfähig,
- durch jährliche Glaubenskurse wird das spirituelle Wachstum gefördert,
- die lebendige Beziehung zu Gott wird in freiem und hörbarem Gebet leibhaftig erfahren,
- die Gemeinschaften versammeln sich um den in seinem Wort gegenwärtigen Herrn und teilen miteinander ihre Eindrücke.
Wo es die personellen Umstände zulassen, kommen dann alle am Sonn- und Feiertag zur Eucharistie (zum Abendmahl) zusammen, wo sie quasi mit ihren „gebündelten Charismen“ die Gegenwart des Herrn feiern: als Versammlung, als Hörer seines Wortes und Empfänger sakramentaler Gnade. Wo das nicht mehr möglich ist, kann [Agape] gefeiert werden. Auch Kinder kann man sehr schön daran beteiligen.
Es braucht also lokale Strategien, in denen das „Programm für die nächsten Jahre der Kirche“ (EG 25) heruntergebrochen und auf die jeweiligen Umstände angewendet wird. Solche Strategien für das Ziel der Umwandlung kirchlicher Strukturen und Gemeinden zu „Zentren des Gebets und der Evangelisierung“ (PP. Joh. Paul II. und Franziskus) sind bisher kaum erarbeitet, obwohl in den aus England stammenden [„fresh expressions of church“] und den Gemeindeaufbauprojekten besonders der [Freien evangelischen Gemeinden] schlüssige und praktikable Modelle vorliegen und obwohl die [evangelische Gemeinschaftsbewegung] schon seit langem besonders Evangelisierung in ihrem Profil hat. Alles das ist in meiner Stadt bereits vorhanden – aber eine Kooperation scheint noch weit entfernt.
Warum nicht davon lernen? Neue Gemeinden aufbauen, noch bevor ein flächendeckendes Gemeindesterben einsetzt! [Mixed economy]. Außerhalb der deutschen Mainstreampastoral auch für die katholische Kirche ein ziemlich normaler Vorgang. Einige kalifornische Bistümer machen es vor und powern in ganz unbefangener Begrifflichkeit [„evangelikale Katholiken“]. Peter Hundertmark fasst in seinem Buch „Gemeinden gründen!“ den derzeitigen Stand zusammen [siehe Literaturliste]. Ein Muss für Katholiken und andere Interessierte, die sich mit dem Status quo nicht mehr zufriedengeben wollen.
Aber auch außerhalb der bistümlichen und landeskirchlichen Strukturen gibt es kreative Gemeinschaftsformate. Kategoriale Seelsorgsdienste rund um Einrichtungen herum (Krankenhäuser, Schulen) oder für bestimmte Zielgruppen müssen nicht mehr ängstlich Gemeindebildungen vermeiden, um nicht womöglich in Konkurrenz zu geografischen Strukturen zu geraten. „Ohne Beschränkungen und Ängste“ sollen wir nach EG 33 „wagemutig und kreativ“ die „Ziele, die Strukturen, den Stil und die Evangelisierungs-Methoden der eigenen Gemeinden…überdenken“ – also die gesamte Seelsorge (ebd.).
Und neue Gemeindemodelle – „Ekklesien“ (vgl. EG 73)? „Kirche für Anfänger“? Kirche an ungewöhnlichen Orten (fresh-X)? Kirche konfessionsverbindend? Charismatisch inspiriert sind die Gründungen von Gebetshäusern mit Gebet rund um die Uhr in einigen Städten und auch auf dem Land längst zu einer geistlichen und pastoralen Bewegung geworden, die kirchliches Engagement dadurch neu glaubwürdig macht, indem sie ihren Schwerpunkt auf die Basics kirchlicher Identität legen: Gebet und Evangelisation. Beten können, ja müssen alle Christen gemeinsam, und zu evangelisieren ist ihre vordringliche Aufgabe. Wenn Mega-Kirchengemeinden diesem Grundauftrag aus welchen Gründen auch immer nicht nachkommen, bzw. es gar nicht können, dann sind neue Gemeindeformate das Gebot der Stunde, die diesen Fokus in ihr Profil schreiben.
Ich bin überzeugt, dass der Heilige Geist die Gebetshausbewegung gerade in ihrer multikonfessionellen Ausprägung nicht von ungefähr belebt, um ein Zeugnis der Einheit von Christen in der sie umgebenden Gesellschaft neu zu setzen. Interessant ist ja, dass Initiativen wie [24/7-Prayer] und die Gebetskette des regelmäßigen [Wächtergebets] ausgerechnet in evangelikalen Kontexten fröhliche Urständ‘ feiert, während sie in der katholischen Frömmigkeit der „ewigen Anbetung“ und des „immerwährenden Gebets“ in Deutschland flächendeckend [fast] erloschen ist.
Jesus Christus kann auch die langweiligen Schablonen durchbrechen, in denen wir uns anmaßen, ihn gefangen zu halten, und überrascht uns mit seiner beständigen, göttlichen Kreativität. Jedes Mal, wenn wir versuchen, zur Quelle zurückzukehren und die ursprüngliche Frische des Evangeliums wiederzugewinnen, tauchen neue Wege, kreative Methoden, andere Ausdrucksformen, aussagekräftigere Zeichen und Worte, reich an neuer Bedeutung für die Welt von heute, auf. In der Tat, jedes echte missionarische Handeln ist immer „neu“. (EG 11)
Packen wir’s an! Beten wir mit! Wir sind eine Mission!