Heute ist der letzte Tag meines „freiwilligen Jahres“!
Danke Gott, danke dem Mülheimer Verband, danke der Andreas-Gemeinde Osnabrück, in der ich viele neue Freunde finden durfte, danke der Gemeindeleitung, die dieses etwas unkonventionelle Projekt ermöglicht hat! Danke aber auch meinem bisherigen Arbeitgeber, dem Bistum Osnabrück, der mich ermutigt hat, im „Jahr des Zu-Atem-Kommens“ nicht nur Pause zu machen, sondern wie im Buch Josua schon Kundschafter zu sein in einer Gemeinde und Kirche, die es geschafft hat, aus der Talsole der 80-er Jahre herauszufinden und die seitdem mit der Hilfe Gottes in eine Phase des Neuanfangs und stetigen Wachstums eingetreten ist.
Als Kontrast zu den Fusions- und Rückbaumaßnahmen der kath. und ev. Kirche wollte ich das „Geheimnis“ herausfinden, das die Andreas-Gemeinde für die Generation 15+ so attraktiv macht, dass sie einen Gottesdienstbesuch von 135% verzeichnen darf, dass jeden Sonntag fünf Kindergruppen ihre altersgemäße Katechese bekommen und dass jedes Jahr mehrere Erwachsenentaufen und -eintritte gefeiert werden können – neben einigen Austritten, die leider auch zu bedauern sind.
- Die Mitglieder der Gemeinden des Mülheimer Verbands halten, wie andere Freikirchen auch, ihr Bekehrungs- und Taufbewusstsein lebendig. Sie haben, ganz im Sinne des [Programms von PP. Franziskus], eine persönliche Beziehung zu Jesus und glauben nicht nur auf der ideologischen Ebene. Diese Spiritualität wird alljährlich durch den [Alpha-Kurs] gepflegt und von Zeit zu Zeit durch das [D.I.E.N.S.T.-Seminar] vertieft.
- Die Gemeinden sind strategisch in Haus-, Arbeits- oder Bibelkreisen strukturiert, in denen man Lebens- und Glaubenserfahrungen regelmäßig miteinander teilt. Das ist im Prinzip gar nichts Neues. Martin Luther hat davon geträumt, es aber nicht umzusetzen gewagt. Erst im Pietismus und parallel dazu auch in der kath. Kirche ist dieses Zell-System entstanden. Es macht Gemeinden beziehungsstark, mit allen Höhen und Tiefen, die eine solche persönliche Nähe zueinander ausmacht. Die Haus- oder Bibelkreis-Struktur wird durch Taizé und die „Kleinen Christlichen Gemeinschaften“ in Lateinamerika, Afrika und Asien als Wegmodell für eine zukunftsfähige Struktur von Mega-Pfarreien verifiziert. Diese entsteht aber nicht von selbst, sondern muss planvoll angegangen und evaluiert werden. In freikirchlichen Gemeinden und neuen geistlichen Gemeinschaften wird jedes Mitglied eingeladen, über den Sonntagsgottesdienst und bürgerschaftliches Engagement hinaus ein regelmäßiges Zeitfenster für den Austausch mit Schwestern und Brüdern zu reservieren.
- Freikirchen und Hauskreise sind betende Gemeinschaften. Im Glaubenskurs und in den Zellgruppen kann man lernen, frei zu beten. Es geht beim Glauben um die Begegnung mit einer Person. Das ist ein dialogisches Geschehen auf Augenhöhe und weit mehr als das Führwahrhalten von Dogmen. Das vernehmliche Gebet meiner Schwestern und Brüder weitet meinen eigenen Horizont, kann mir Zuspruch und Ermutigung schenken, woraus dann die Kraft für das Engagement in der Gesellschaft erwächst.
Es gehört zum seelsorgerlichen Standard, alle zwei Wochen zu „helfendem Gebet“ im Sonntagsgottesdienst während der Lobpreiszeit (das „Gloria“ der hl. Messe…) oder nach dem Gottesdienst einzuladen. Wer einen Dank, eine Bitte oder eine Sorge auf dem Herzen hat, kann durch geschulte Seelsorgeteamer über sich beten lassen und so Solidarität, Geschwisterlichkeit oder Entlastung leibhaftig erfahren. Auch in den Hauskreisen ist dies in einem noch intimeren Rahmen Usus.
- Freikirchliche Gemeinden nehmen den Grundauftrag der Kirche ernst, indem sie offensiv evangelisieren. Zunächst einmal sich selbst, und dann einladend jeder in seinem Umfeld. Mission muss alles andere sein als penetrant, vereinnahmend und aufdringlich. Der Masterplan von PP. Franziskus („Evangelii Gaudium“ – EG) hat genau diesen evangelikalen Ansatz (EG 3) und wird nicht müde, Evangelisierung als das A und O kirchlichen Handelns zu entfalten, um das sich alles dreht. Bischof Franz-Josef Bode verstärkte das beim Magdeburger Dialogforum 2015 noch: „Wir sind eine Mission!“ Erst nach dieser Vorbedingung kommt die Sakramentalität der Kirche und ihrer Gemeinschaften zum Tragen. Die Fokussierung der Pastoral auf Ämter und Eucharistie setzt am falschen Ende an und hat zur Folge, dass sich die großen Kirchen quasi selbst abschaffen, was man mittlerweile schon an vielen Orten erleben kann.
- Freikirchen arbeiten in ihrer Zielrichtung und Methodik professioneller als die übliche Mainstreampastoral. Unternehmerische Prinzipien prägen den Transfer ihres Missionsauftrags und haben damit auch Erfolg. Selbst Jesus hat einen Plan für Evangelisation gehabt und umgesetzt – man schaue sich die Berufungs- und Sendungsgeschichten an. Die Methodik der Freikirchen und anderer Gemeinschaften ist durch [amerikanische Modelle] geprägt, die deswegen aber nicht schlecht sein müssen. Sie müssen nur kritisch hinterfragt und auf den europäischen Kontext angewendet werden, was Gott sei Dank [auf vielen Ebenen] geschieht.
- Reform und Erneuerung der Kirche sind ein Werk des Heiligen Geistes. Der Mülheimer Verband hat die pfingstliche Erweckung 1905 nach Deutschland gebracht. Der Geist Gottes stattet uns Christen mit Charismen zum Dienst an allen aus (Röm. und 1. Kor. 12), sofern wir uns seinem Wirken öffnen und ihn in unser Leben einladen (Lebensübergabe und [Geisttaufe]). Der Mülheimer Verband legt wert darauf, dass sich dies nicht in spektakulären Ausdrucksformen manifestieren muss. Insofern betrachtet er sich als „gemäßigt charismatisch“, was in meiner Einschätzung unserer Mentalität besser entspricht, als gefühlsbetonte Massenphänomene, die der Frage nach der Manipulierbarkeit von Menschen nicht standhalten. Gerade hier ist konstruktive Kritik und geschwisterliche Korrektur durch die kirchliche Gemeinschaft gefordert. Die deutschen Bischöfe haben übrigens die Zukunft der Kirche als charismatisch beschrieben, als sie 2015 den päpstlichen Masterplan auf Deutschland transferierten [in „Gemeinsam Kirche sein“].
- „Mission is possible“, so meine Quintessenz aus diesem „freiwilligen Jahr“ als katholischer Volunteer in einer freikirchlichen Gemeinde. Rückbau und Rückzug aus der Bürgergesellschaft verraten den Missionsauftrag des Herrn der Kirche. Ich durfte in diesem Jahr meine Berufung finden und schärfen, an einem neuen Gemeindeformat in meiner Stadt mitzubauen, in dem multikonfessionell gebetet und die Widerstände und Erstarrungen der Glaubensverkündigung mit der Kraft des Heiligen Geistes überwunden werden. „Brücken bauen und Mauern einreißen“ – diesen Appell von PP. Franziskus zum Abschluss des Weltjugendtags 2016 heute in Krakau an die jungen Leute mache auch ich mir zu eigen!
Mein kirchlicher Status: Biblisch – katholisch – evangelikal – charismatisch. Das sind keine Widersprüche. 499 Jahre nach der Reformation müssen sie es nicht mehr sein. Und für die nächsten Jahre: Sie dürfen auch keine Widersprüche sein! Wie geht es nun weiter?
Das könnt Ihr mit einem Klick auf den Wegweiser lesen!
Hinterm Horizont geht’s weiter! (Udo Lindenberg)