Dass musste gestern sein: Als „Butenhamburger“ (Hanseaten, die außerhalb der Stadt ihrer Kindheit und Jugend leben) kann mich die Eröffnung der Elbphilharmonie selbstverständlich nicht kalt lassen. Da tritt auch die Allianz-Gebetswoche 2017 ins zweite Glied zurück… Der Platz vor dem Fernseher konnte die Vorschusslorbeeren für das Akustik-Wunder verständlicherweise zwar nicht bestätigen, aber die Elphi ist auch rein optisch ein großartiges Bauwerk auf dem prominentesten Platz, den Hamburg, das „Tor zur Welt“, mitten im Hafen zu bieten hat. Warum ich darüber blogge, liegt an der hervorragenden [Rede, die Bundespräsident Joachim Gauck gehalten] hat.
Die [Elbphilharmonie ist ein Kulturpalast], zweifellos. Für manche vielleicht auch ein Kultur-Tempel in dieser Epoche des Sinnverlustes und der Respektlosigkeit gegeneinander. Daher brauchen wir solche Bauten! Die Zukunftschancen für die kulturelle Bildung besonders der jungen Generationen und das Miteinander von Bürgern und Besuchern der Stadt rechtfertigen den immensen Kapitaleinsatz von 866 Mio. € (davon immerhin 77 Mio. aus Sponsoring). Musik ist multikulturell, sie übersteigt unsere menschlichen Beschränktheiten. Musik öffnet das Herz für Religion.
Auch Christen gucken hinter die Dinge, die unsere Welt ausmachen. Wir leben keinesfalls in einer „frommen Blase“ und bilden schon gar nicht eine Parallelgesellschaft. Wenn [evangelikale] Christen meinen, das tun zu müssen, haben sie ihren biblischen Auftrag gründlich missverstanden. Da ist es völlig normal, dass 17 christliche Konfessionen in der Nachbarschaft von Elphi gemeinsam und an einem Ort in der [Hafencity die Kirche präsent] machen, und das schon seit vielen Jahren! Hin und wieder werden auch geistliche Werke in der Elbphilharmonie zu hören sein – nicht nur mit der grandiosen [Orgel], die mitten zwischen den Zuhörer-Rängen steht und mit ihren modernen Klangfarben auch Jazz und Filmmusik bewältigen kann. Glaube braucht Kultur, und eine Kultur ohne Glaube ist kaum vorstellbar. Der Atheismus erfindet dann Ersatzriten. Glaube ist Kultur, ein wesentlicher Teil davon. Haben die Hamburger mit ihrem neuen Wahrzeichen nun den unglückseligen Abriss ihrer großen, frühgotischen Domkirche in den Jahren 1805/06 kompensiert? Fast kommt es mir so vor. Es waren damals ausschließlich politisch-ökonomische Gründe, die für die „Pfeffersäcke“ eine Rolle spielten. Die großen Musiker der Jahrzehnte davor (Reinken, Scheidemann, Telemann, C. Ph. E. Bach) waren sämtlich Hamburger Kirchenmusiker. Mendelssohn und Brahms sind Hamburger Jungs und haben große Werke geistlicher Musik komponiert, und zeitgleich mit dem Ausbau des Hafens und der Speicherstadt Ende des 19. Jhdts. war Gustav Mahler Chefdirigent. Eine völlig gottlose Musikszene ist weder in der Stadt Hamburg, noch in der Elbphilharmonie vorstellbar.
Drei Highlights aus der Gauck-Rede machen den Kontext der Kultur deutlich, obwohl „Glaube“ und „Jesus Christus“ an keiner Stelle explizit genannt werden:
Die Elbphilharmonie „lebt vom Zauber der Gegensätze, von der ästhetischen Spannung, aus der immer wieder Neues hervorgehen kann. Hafen und Stadt, Berg und Meer, Tradition und Moderne, Kunst und Kommerz – all diese Kontraste sind in ihr verankert“ – und unser Glaube mit seinen Fragen und seinen Hoffnungen gehört mitten in diese Lebensrealitäten hinein!
„Dass es dieses Haus gibt, das haben wir einer privaten Idee und einer privaten Initiative zu verdanken. (…) Es ist dieser Bürgersinn, den wir heute so dringend brauchen wie je, um die Zukunft gemeinsam zu gestalten, in dieser Stadt, in unserem Land und im vereinten Europa. (…) Manchmal muss man sehr wohl ein Wagnis eingehen und Widerstände überwinden, um einer guten Idee zur Wirklichkeit zu verhelfen. Baukunst entsteht mitunter anders als geplant. Visionäre Projekte bergen oft auch etwas Unberechenbares. “ Es ist also möglich, beginnend bei einer Vision Einzelner, mit Weggefährten etwas total Neues in diese Gesellschaft einzubringen! Bürgersinn – das ist es, wohin ein Glaube mündet, der kein Blabla sein will. Glaube ohne bürgerschaftliches Engagement nützt niemandem, nicht einmal demjenigen, der immer „Herr, Herr!“ ruft. Die Bibel ist da ganz fundamental: Lk. 6, 46 f. (Die Elphi steht übrigens auf sumpfigen Gelände…), und Mt. 25, 34 ff. Dort steht nichts von Gebetszeiten, Gottesdienstbesuch und Reden in neuen Zungen. Nur ganz handfeste Taten sind es, die Jesus interessieren!
„Die Elbphilharmonie ist für mich auch ein Bau, der unserer offenen Gesellschaft entspricht. Ihre Architektur führt Unterschiedliches zusammen, ohne es gleichmachen zu wollen. Dafür steht die Plaza als Ort der Begegnung, der für alle zugänglich ist. Dafür steht aber auch dieser Saal, in dem niemand zurückgesetzt wird und dessen „Weiße Haut“ aus lauter Unikaten zusammengefügt ist. Hier rücken wir näher zusammen, fühlen uns geborgen in der Gemeinschaft, ohne uns in der Masse zu verlieren. Hier erleben wir ein Miteinander, ohne unsere Individualität aufgeben zu müssen. So erfahren wir, alle zusammen und jeder für sich, die verbindende Kraft der Musik.“ Gibt es Kirchen und Gemeindehäuser in unserem Land, die dieses vermitteln – bis hin zur verbindenden Kraft von Gottes Geist? Kann man die Dimension des „offenen Himmels“ über unseren Versammlungen und Gottesdiensten wahrnehmen? Lassen wir uns als Kirche die Feierkultur aus der Hand nehmen? Oder ersticken seelenlose Zweckbauten und liturgische Korrektheit nicht eher das Wehen des Heiligen Geistes?
Der lässt sich bestimmt nicht von der Säkularität dieses Kulturpalastes abhalten, sich auch hier eine „Einflugschneise“ zu suchen, wenn die großen Werke der Kirchenmusik an diesem Sehnsuchtsort erklingen, oder wenn sich Menschen vielleicht einmal anlässlich eines Kirchentags oder Kongresses hier begegnen.