Zwischen „Zeit zur Reformation 1 und 2“ stand „W@nder – eine Konferenz für Pioniere“ auf dem Programm, veranstaltet von [Kirche²], ein Gemeinschaftsunternehmen der ev.-luth. Landeskirche Hannovers und des Bistums Hildesheim, das zum [fresh-X]-Netzwerk gehört. Es sollte um das „Fremdsein in/mit der Kirche“ gehen – um den Umgang mit Entfremdeten und um das eigene Fremdeln der Teilnehmer. Welche neuen Ausdrucksformen kirchlichen Lebens brauchen wir, damit der Glaube eine Zukunft hat? Hier waren Pioniere gefragt: Leute, die sich schon entschlossen haben und neue Wege beschreiten, und Leute, die sich gerne auf neue Wege machen würden!
„Reformation zum Anfassen“ also. Die W@nder-Konferenz spielte mit den Metaphern einer Berg-(und Tal-)Wanderung. Es wurden „Seilschaften“ für den Austausch gebildet, es gab eine zentrale „Hochebene“, wo alle zusammenkommen konnten, einen „Gletscher“ für „Geführte Wanderungen“ (=Impuls-Referate), eine „Hütte“ für Lagebesprechungen, eine „Schlucht“ für Geistliches und Podiumsrunden, und zwei „Jausenstationen“ für das leibliche Wohl, alles sehr kreativ und liebevoll vorbereitet vom Kirche²-Team im [Kulturzentrum „Eisfabrik“] in der Hannoverschen Südstadt.
Jonny Baker und Susann Haehnel von der [Church-Mission-Society] in Oxford versuchten als „Wanderführer“, die unterschiedlichen Motivationen der Teilnehmer in eine Prozess-Struktur zusammenzufassen, um den eigenen Standort, die Zielvorstellungen und den persönlichen Weg dorthin zu klären.
„Pioniere bringen eine besondere Gabe mit – sie sehen und träumen von Möglichkeiten einer Kirche, wie es andere nicht können, und sie finden Wege, diese Visionen in Realität zu verwandeln.“
Es ist Aufgabe von Pionieren, Trampelpfade in einem bis dato unwegsamen Gelände freizutreten. Wege zu bahnen, wo noch gar keine zu sehen sind. Das Pioneer-Mission-Leadership-Training hat acht Kategorien: 1. Bereit sein, gegen den Mainstream zu schwimmen, 2. Die Mission erkennen, 3. Übergänge riskieren bzw. zu neuen Horizonten durchbrechen, 4. frei machen von allen menschlich-natürlichen Absicherungen, 5. „Du selbst werden“, 6. Die Ecken/Grenzen ausloten, 7. „Wie würde Jesus handeln?“, 8. Geist und Sendung: „change“ – nicht mehr auf eine Eisenbahn warten, die gar nicht mehr ankommen kann, weil die Gleise schon lange abgebaut sind; „community“ – in einem Team unterwegs sein, aber „Ich habe keinen Plan, wohin es geht… hat jemand Lust, mitzukommen?“
Anna Brandes als zweite „Wanderführerin“ erzählte in ihrer persönlichen und bescheidenen Art, wie sie „ganz unchristlich“ zu neuen Lebens- und Arbeitshorizonten durchbrechen konnte, und machte Mut, es ihr gleichzutun:
„Jeder Mensch hat ein eigenes, funkelndes Potential in sich, einen persönlichen Erfahrungsschatz an Kreativität und Wissen. Manchmal braucht es nur den nötigen Zuspruch, und einen sicheren und wohlwollenden Austausch mit Anderen, um diesen Schatz zu heben und wachsen zu lassen.“
Mit dem von ihr entwickelten Format des „Ideen-Dinners“, das sie mit Führungspersönlichkeiten aus Unternehmen und anderen Interessierten meist in ihrem Wohnzimmer veranstaltet, dockte sie an das Stichwort „community“ ihrer beiden Vorredner an. Und ihre Berufsgeschichte war ein konkretes Beispiel für „Change“. Es erinnerte mich an die Formate der „Kleinen Christlichen Gemeinschaften“ bzw. Hauskreise und an „Bekehrung“ – zwei „goldene Kerne“, die wir Christen in unserer Schatzkiste tragen, die aber ganz anders aussehen müssen und können als fromme und zurückgezogene Zirkel in ihrer ganzen Betulichkeit, und anders als ein zwanghaftes Heraustreten und Nach-Vorne-Kommen („Altarruf“) am Ende einer moralisierenden Evangelisationspredigt.
Es gab sowohl Teilnehmer, die von erlebter Engherzigkeit freikirchlicher Gemeinden entfremdet sind und nun in den etablierten Kirchen ihren Weg weiter gehen, als auch Landeskirchler und Katholiken, die von Oberflächlichkeit und Unprofessionalität genug haben und lebendigere Gemeinschaften suchen. Es gab überzeugte Freikirchler und Teilnehmer, die sich als „Gemeindegründer“ vorstellten. Es gab Träumerinnen und Träumer, die gerne innerhalb ihrer Konfession eine andere Art von Gemeinde bauen möchten, und es gab Pioniere, die ihren Entschluss gefasst haben und zu neuen Horizonten aufgebrochen sind.
Auf zwei „Routen“ mit Workshop-Stationen konnten aus der bunten Teilnehmerschaft Fragestellungen erörtert, aber auch schon konkrete Beispiele kennengelernt werden. Zusammen mit einem evangelischen Diakon fand ich mich – spontan und unvorbereitet – als Gesprächsleiter einer 25-köpfigen „Wandergruppe“ wieder, in der es um die Frage ging: Müssen wir denn immer im traditionellen Gemeindeformat denken, oder was gibt es für ganz andere und innovative Formen von Kirche und Christsein, und: Wenn Pioniere unkonventionelle Projekte anschieben, ist es dann Selbstverwirklichung oder haben wir nicht auch danach zu fragen, was Gott auf seiner Agenda für unsere Stadt/unser Dorf hat? Aufgrund des zwar jungen, aber landeskirchlichen Pfarrer-Überschusses der Konferenzteilnehmer war es nicht ganz leicht, die Diskussion immer wieder von den geliebten Strukturfragen hinsichtlich des Personalschlüssels und der Budget-Zuweisungen wegzuführen und Alternativen zum herkömmlichen Gemeindemodell (in dem auch Freikirchler befangen waren) aufzuzeigen und überhaupt zur geistlichen Dimension vorzustoßen.
Berufung beinhaltet nicht nur die Frage, was ich können muss und welche Mittel ich einsetzen darf, sondern zuallererst, wo Gott mich haben möchte (5. „Be you“ und 7. „What would Jesus do?“). Anna Brandes hat uns leibhaft vor Augen geführt, dass Kehrtwende auch die Aufgabe der bisherigen beruflichen Stellung bedeuten kann – bezogen auf uns: Die Sicherheit der Gemeinde und der bisherigen Beauftragung/des Amtes zu verlassen und das Risiko einzugehen, einer neuen Berufung zu folgen und in unbekannte Horizonte einzutreten. Aus meiner Sicht: Bekehrung konkret! Mit Jesus weiter gehen wollen, damit fängt alles an. Bin ich dazu bereit? (Auch nach 52 Jahren bewussten Christseins, nach 19 Jahren hauptamtlichen Dienstes und nach zwei Jahren der [Neubekehrung]?) Blinde sollten keine Blinden führen.
- Was nehme ich mit? Ermutigung, den Weg zu einem neuen, beziehungsstarken Gemeindeformat in meiner Stadt unbeirrt weiter zu gehen.
- Was „bleibt in der Wand“? Die ineffektive Mainstream-Pastoral der herkömmlichen Gemeindestrukturen und -inhalte.
- Was hat meine Perspektive erweitert? Pioniere, die wie ich auf dem Weg sind. „Goldene Kerne“ in meinem kleinen Rucksack, die zu neuem Glänzen gebracht werden wollen.
- Was will ich zuhause erzählen? Die Zeit für Reformation ist jetzt!
- Was sind die nächsten Ziele? Unsere Gebetszellen bekannter machen und mit anderen vernetzen.
Das Ende der Konferenz war hoffentlich für viele Teilnehmer der Start ins Pionier-Sein! Im Aussendungs-Gottesdienst gab es Dank, Auftrag und Stärkung, für Gott und die Menschen „zu brennen“ und mit Jesus unterwegs zu sein. Am 11. November 2017 gibt es ein [„Alumni-Treffen“] von Kirche²-Mitmachern.
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