charismatisch

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„Weg von einer nur aufgabenorientierten hin zu einer gabenorientierten Pastoral“, fordert die Bistumsleitung 50 Jahre nach dem 2. Vatikanischen Konzil, [ausführlich hier]. Das erfordert nicht nur einen „milden Perspektivwechsel“, sondern gem. Evangelii Gaudium eine „conversión“ – Bekehrung, Kehrtwende, auch wenn sich im Kirchenvolk Ignoranz oder Gegenwehr breitmacht.

Gabenorientierung ohne Wiederentdecken der neutestamentlichen Charismen aus Röm. und 1. Kor. 12 wird eine Sprechblase bleiben.

Welche Gemeinde hat ein praktikables Konzept, um diese Kehrtwende ihrer Pastoral auch wirklich zu vollziehen, jetzt? Es gibt sie längst. Aus der [Willow-Creek-Community] kommt z. B. das D.I.E.N.S.T.-Seminar, dessen Professionalität mit dem im Unternehmensmanagement verbreiteten DISG-Persönlichkeitstest ich [in meiner Gemeinde selbst erfahren] durfte. Eine Adaption auf kath. Verhältnisse wurde im Bistum Hildesheim erarbeitet und gehört dort schon seit Jahrzehnten zum Standardangebot für Pfarrgemeinderats-Weiterbildungen. Erhältlich u. a. im Duderstädter [Zentrum für Kirchenentwicklung]. Ein Interview mit dessen Promotor, Propst Bernd Galluschke, hat die Kath. Arbeitsstelle für missionarische Pastoral (KAMP, Link siehe rechts) [hier] veröffentlicht.

Die Zukunft der Kirche wird im besten Sinne charismatisch sein. Der Begriff kommt in der jüngsten Verlautbarung der deutschen Bischöfe [„Gemeinsam Kirche sein“] auf fast jeder Seite vor, darauf habe ich [in meinen Blogs] schon hingewiesen. „Nun gibt es ja die Charismatische Erneuerung“, habe ich kürzlich in einem Gespräch mit einer Seelsorgeamtsreferentin gesagt, und deren Gesicht versteinerte sich augenblicklich: Das sei ja „etwas ganz anderes“…! Dass PP. Franziskus der weltweiten Pfingstbewegung angehört, mögen Manche kaum glauben – und wird die Widerstände gegen seinen Masterplan nicht gerade abbauen helfen. Auch hier gibt es offensichtlich noch viele Zerrbilder. Charismatisch zu sein ist kein Abstellgleis.

Inwieweit ist die „Charismatische Erneuerung (CE)“ in der kath. Kirche aufgrund des Rückzugs einiger Gebetsgruppen auf das Praktizieren exklusiver Frömmigkeitsübungen nicht selbst mit verantwortlich für Missverständnisse über sich selbst? Bisher ist es ihr in Deutschland nicht gelungen, von einer „Bewegung in der Kirche“ zu „Kirche in Bewegung“ zu werden, wie es ursprünglich in ihrem Stammbuch stand. Aber auch die CE ist gemeint, wenn es in Evangelii Gaudium heißt:

„Ich hoffe, dass alle (!) Gemeinschaften dafür sorgen, die nötigen Maßnahmen zu ergreifen, um auf dem Weg einer pastoralen und missionarischen Neuausrichtung (span. conversión) voranzuschreiten, der die Dinge nicht so belassen darf wie sie sind. … Versetzen wir uns in allen Regionen der Erde in einen Zustand permanenter Mission.“ (EG 25 u. a.)

Wir brauchen eine „Erneuerung der charismatischen Erneuerung!“ Diese Einladung von P. Ernst Sievers MAfr unterstütze ich nachdrücklich. Er hat beim [mittendrin 2015-Kongress] ein Konzept vorgelegt, das auch [von der CE veröffentlicht] wurde (der ausführliche Text hat ein Summary am Schluss). Charismatisch sein und nicht mit Evangelisierung nach innen und nach außen anzufangen und fortzuschreiten, ist ein Widerspruch in sich (vgl. Punkt 5). „Geistliche Vollmacht“ (Punkt 7) ist auch ein Ergebnis von Weiterbildung (die Bereitschaft zu „lebenslangem Lernen“ ist heute unternehmerischer Standard!). Ein einziger Cursillo, Alphakurs oder Leben-im-Geist-Seminar kann eine Bekehrung anschieben, aber geistliches Wachstum ist damit noch lange nicht abgehakt.

Charismatisch sein und sich damit zufrieden zu geben, als etwas seltsame Randerscheinung der kirchlichen Vielfalt wahrgenommen zu werden, geht gar nicht. (Frei) zu Beten und davon zu erzählen, „was der Glaube bringt“ (Klaus Hollmann) und Menschen in Not tatkräftig zu helfen, gehören zusammen. Sonst gerät kirchliches Engagement in der Gesellschaft in eine Schieflage. Welche „nötigen Maßnahmen“ wird die CE nun ihrerseits ergreifen?

Das charismatische Selbstverständnis einer Gemeinde ist keine Zukunftsmusik. Ich erlebe es z. B. so:

„Wir sind Menschen, die nicht fertig sind. Wir verstehen unser Christsein nicht als Status, sondern als einen Weg. Wir freuen uns sehr, wenn andere Menschen zu uns stoßen, die Christus suchen und ihn brauchen.“

„Wir wollen einander in unserem Glauben und unserer Christusnachfolge begleiten. Dies setzen wir vor allem in unseren Kleingruppen um, die sich in der Regel wöchentlich zu Hause bei einem Gemeindeglied treffen.“

„Jedem Gläubigen sind von Gott Gaben anvertraut. Diese Gaben sind ihm für das Gemeinwohl gegeben. Zunächst für die Gemeinde, aber auch darüber hinaus. Wir wollen eine Gemeinschaft sein, in der wir einander dienen und auch den Menschen, dem Gemeinwesen, das uns umgibt. Jedes Mitglied unserer Gemeinde sollte in einem Arbeitsbereich der Gemeinde mitarbeiten. Wir führen regelmäßig Schulungen durch, die dem einzelnen helfen sollen, seinen Platz in der Gemeinde zu finden.“

„Wir glauben, dass der Heilige Geist heute wie vor 2000 Jahren Gaben der Heilung, der Sprachenrede und Prophetie für das Gemeindeleben gibt. Im Unterschied zur klassischen Pfingstbewegung betonen wir diese eher spektakulären Gaben nicht so stark und nehmen auch weniger spektakuläre Talente wie Organisation, Redegabe, einen Sinn fürs Praktische und Schöne als wertvolle Gaben wahr, die der Heilige Geist in gleicher Weise erfüllen und zum Bau seiner Gemeinde einsetzen will.“ [aus der Homepage der Andreas-Gemeinde Osnabrück]

Aus dem „Masterplan Evangelii Gaudium“ lassen sich Strategiepläne für die Abkehr von der üblichen Mainstreampastoral und Hinkehr zu einer kontextorientierten Gemeindearbeit herleiten. Viele der bisherigen Kommentare zu Evangelii Gaudium sogar auf renommierten und unabhängigen kath. Nachrichtenportalen sind so weichgespült, dass die Kernpunkte in den Nrn. 3 und 164 überhaupt nicht verstanden werden. PP. Franziskus stellt in „Laudato Si’“ Nr. 3 selbst lapidar fest, dass seine Reformimpulse von 2013 zwei Jahre später immer noch ihrer Umsetzung harren! „Gemeinsam Kirche Sein“ der deutschen Bischöfe markiert die nächsten Schritte – aber wer liest das, und wann und wo wird es auch praktiziert?

„Wo gibt es über alles rationale An-Dozieren der Existenz Gottes hinaus eine Einführung in die persönliche Gottesbeziehung, in die lebendige Erfahrung Gottes?“

diese Frage von Karl Rahner (1904-1984), dem bedeutendsten kath. Theologen der Neuzeit, ist bedrängender denn je! Sie kann zwar hinsichtlich neuer kath. Evangelisationswerke bes. in Süddeutschland, Österreich und der Schweiz schon ein wenig beantwortet werden, durchgesetzt haben sich solche Schulungen als Hauptaufgabe der Kirchengemeinden (EG 28) bundesweit noch lange nicht. Die deutsche kath. Kirche hat sich selbst in endlose Strukturdebatten verstrickt und damit die gemeindliche Mainstreampastoral in sich selbst gefesselt. Ihr Zentralkomitee kommt nicht von seiner Reformkosmetik mit den Forderungen zu Ehescheidung, Weiheamt für Frauen (warum eigentlich „nur“ Diakoninnen?) und Ehelosigkeit der Geweihten herunter, statt die Probleme von ihrem Kern her anzugehen: persönliche Bekehrung, Gemeinde-Evangelisation, Mission in und Transformation der Gesellschaft – offensichtlich immer noch schwierige Fremdworte, und aufgrund vorurteilsvoller [Zerrbilder] angstbesetzt.

„Siehe, ich mache alles neu!“ (Offb. 21,5). Alles! Er schafft das. Wir sind seine Freunde und dürfen dabei mitmachen – charismatisch, evangelikal, katholisch halt.

[Nachtrag 08.08.2016]

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