OEL-Woche 4

OEL-Woche 4

4. Tag

Die Nahverkehrsverbindungen von Mülheim nach Gelsenkirchen am Samstag und Sonntag sind schlecht. Ich muss einen Umweg über Duisburg machen, also mittlerweile der dritte Verkehrsweg.

Heute lerne ich einige Gemeindemitglieder mit dem Charisma des Anpackens kennen. Wir frühstücken gemeinsam. Dann wird die Arbeit verteilt. Der von mir renovierte Kindergottesdienstraum wird für Sonntag eingerichtet. In der neuen Küche gibt es Wandleisten, die noch LED-Bänder tragen sollen. Im Außenbereich wird ein mit einem kaputten Briefkasten missbrauchter Schaukasten entfernt. Auf dem Grundstück stehen etliche Platanen von beträchtlichem Alter. Ein Mitarbeiter rückt der herbstlichen Blätterflut mit großem Gerät zu Leibe. Man kann davon gut Kompost machen, was auch getan wird. Ich streiche den Holzzaun zu Ende, obwohl es zwischendurch immer mal vom Himmel tröpfelt. Danach kann ich noch eine Plexiglasscheibe neben der Kaffeemaschine montieren. Und es wird weiter aufgeräumt. Inzwischen ist das Team der Sinti-Gemeinde eingetroffen, die am frühen Samstagabend Gottesdienst feiert, im großen Saal! Er liegt also durchaus nicht brach.

vorher
nachher

Ich nutze den Rest des Tages für die Lektüre von Jonathan Pauls Buch über die Taufe im Heiligen Geist. Ich bekomme den 1. Teil durch.  Paul führt immer stärker seine und die Erfahrungen anderer ins Feld und relativiert seine ursprünglichen Ausführungen (er gebraucht gerne das Wort „Beweise“ für biblische Bezüge), indem er dann doch „Bibel plus Erfahrung“ setzt (könnte es nicht auch „Schrift plus Tradition“ sein?). Und er relativiert sein 3-Stufen-Modell (Versiegelung, Kraft aus der Höhe, Fülle des Geistes) der Geisttaufe anhand der menschlichen Wachstumsphasen Kindheit, Jugend und Erwachsenenalter, indem er am Schluss des ersten Teils ausführt, dass dies kein Ranking sei, sondern dass alles auch ganz „durcheinander“ geschehen könne. Mir ist das sehr sympathisch, denn der Leser versucht natürlich immer, den persönlichen Bezug herzustellen: Wie ist es bei mir? Welche Phase durchlebe ich gerade, oder habe ich schon eine hinter mir gelassen, und was kann mir in Zukunft noch bevorstehen? Sehne ich mich nach Erfüllung vom Geist Gottes oder baue ich gar eine Fassade auf?

Und was Paul natürlich so noch nicht erahnen kann: Wir sind als Menschen des 21. Jahrhunderts in unserem Lebensstil im strukturellen Bösen gefangen – durch Energie- und Rohstoffverbrauch, durch ungerecht hergestellte Konsumartikel, und wir sind Smartphonenutzer, bei denen wir nicht wissen, wie die Bestandteile hergestellt und welche seltenen Erden dafür wie und durch wen abgebaut werden. Kinderarbeit? Wenn Paul für seine 2. Stufe den Sieg des Geistes über das Menschlich-Fleischliche propagiert, und auf der 3. Stufe die „Fülle des Geistes“ das Sündigen unmöglich machen soll, dann kann ich mich konsequenterweise nur als Einsiedler in die Wüste zurückziehen, in völliger Entsagung. Noch nicht einmal ein Klosterleben könnte mich vom strukturellen Bösen in dieser Welt bewahren! Eine egoistische Heilsgewissheit und Frömmigkeit ist eines Christen unwürdig. Freude und Seligkeit, die Jonathan Paul als Folge der Geisttaufe beschreibt, gibt es nicht ohne diakonisches Handeln (vgl. die Gerichtsrede in Mt. 25). Geistgetauft sein lässt sich an den Früchten des Geistes bemessen (Gal. 5, 22). Sie sind aber in allen „Stufen“ relevant! Früchte des Geistes und Phasen der Geisttaufe, sie können gleichermaßen alle gleichzeitig akut sein, wie drei (oder mehr…) alternierende Sinuskurven mit ihren Höhen und Tiefen. So ist es bei mir (Erfahrung!) und so sehe ich es durchaus auch biblisch „bewiesen“. Das Haus des Cornelius (Apg. 10) erlebte eine Geisttaufe, bevor sie noch mit Wasser getauft waren.

Insofern darf ich ganz beruhigt sein. Kein Schema F für die Taufe im Heiligen Geist! Außer meiner Berufsausbildung und -wahl als Gemeindereferent war nichts geplant! Der Geist Gottes schenkt viele unverhoffte Überraschungen! Meine geistlichen Phasen gehen von jugendlicher Begeisterung (mehr für Kirche als für Jesus: In der Firmung „besiegelt mit der Gabe Gottes, dem Heiligen Geist“, gespürt habe ich davon nicht viel…) über die Lebensübergabe mit ca. 25 Jahren (ein wesentlicher Teil dessen, was Paul „Wiedergeburt“ nennt), Hochzeit unter dem ganzen Kapitel Joh. 9, Familiengründung (unsere Kinder sollen frühestens ab Schulalter getauft werden, wenn sie es möchten), dann in großen Abständen Erneuerung der Bekehrung (oft nicht bloß rituell, sondern existenziell in der Liturgie der Osternacht), im pastoralen Dienst auch die Erfahrung der schleichenden „Verdunstung“ des Glaubens, aber nie das Gefühl des Herausgefallen-Seins aus Gottes Liebe zu mir. Ich bin geistlich breit aufgestellt: Das erste Mal „den Himmel offen“ erlebt habe ich in [Taizé]. Mit unseren beiden Kindern waren wir oft in der [Benediktinerinnen-Abtei Varensell]. Unsere Hochzeit ist ohne den damalig großen Gebetskreis der [kath.-charismatischen Erneuerung] nicht denkbar. Mit dem Eintritt ins Rentenalter wird alles anders: [Neubekehrung] aufgrund der Lektüre von PP. Franziskus‘ Antritts-Rundschreiben [Evangelii Gaudium] Nr. 3, und dann geht alles ziemlich schnell im Jahrestakt: Hineinkommen in eine charismatische Gemeinde, [Mitarbeit], sogar als Minijobber im Verband, entflammende und [befeuernde Jugend-Events], an denen ich als Senior teilnehmen darf, Klarheit über meine [Berufung für mein 3rd. Life], drei Engagements: 1. in der Gemeinde Zellgruppenarbeit, 2. in der Evangelischen Allianz Schriftführung und 3. als konfessionsverbindender Netzwerker Koordination aller Gebetsinitiativen der Stadt als Vorarbeit für ein evtl. Gebetshaus. Die ganze Entwicklung der letzten fünf Jahre kann man in meinem Blog nachlesen. Ein wichtiger Schritt der „Wiedergeburt“ im Sinne von Jonathan Paul: Die [Vollendung meiner Babytaufe] als betagter Erwachsener – alles Schritte, von denen ich fest überzeugt bin, dass sie vom Heiligen Geist geleitet wurden, der einen dicken roten Faden durch mein Leben gewirkt hat. Ich kann wirklich sagen, dass Gott auf krummen Zeilen gerade schreibt. Aber ein Stufenmodell jeglicher couleur, und sei es noch so biblisch belegbar, passt überhaupt nicht! Was hilft: Die Schritte Jonathan Pauls einzeln und gleichzeitig zu sehen, keine Reihen- oder gar Rangfolge konstruieren. Er will es ja letztlich auch nicht.

„Habe“ ich den Heiligen Geist? Ja, und das ist keinesfalls „das Ende der Fahnenstange“, sondern jetzt geht es erst richtig los: Gelobt sei Gott, der Vater unseres Herrn Jesus Christus! In seinem großen Erbarmen hat er uns neues Leben geschenkt. Wir sind wieder gezeugt (ἀναγεννήσας), weil Jesus Christus von den Toten auferstanden ist, und jetzt erfüllt uns eine lebendige Hoffnung. (1. Petr. 1, 3)! Hier bin ich gemeint, so wie ich bin, mit meiner Lebensgeschichte, und ich bin „anagennähsas“, als Person vom Geist Gottes „zurück auf Anfang“ gesetzt, und nun gilt es durchzustarten!

Ich freu mich so auf den Gottesdienst morgen mit der Kirche 62! Markus, der Elektriker von heute morgen, wird predigen.

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