Postmodern plausibel

Postmodern plausibel

… so muss christlicher Glaube heute sein. Warum uns das so schwerfällt und wir am liebsten möchten, dass in der weltweiten Kirche Gottes alles so bleibt, wie es ist (oder womöglich früher alles viel besser war…), versucht Christian A. Schwarz aus seinen Erfahrungen mit der von ihm kreierten [„Natürlichen Gemeinde-Entwicklung“ NGE] zu begründen.

Der Buchtitel kommt zwar etwas mainstreamig daher: „Gott ist unkaputtbar“, macht aber deutlich, dass wir auch  unsere Verkündigungssprache überprüfen müssen, um überhaupt noch verstanden zu werden (Eric Flügge hat in: [„Die Kirche verreckt an ihrer Sprache“] dazu geschrieben.). Aussagekräftiger und neugierig machend ist jedoch der Untertitel: „12 Antworten auf die Relevanzkrise des Christentums“.

Zum Verständnis dieses Buchs ist eine gute Kenntnis des Konzepts und der Arbeitsweise der „NGE“ erforderlich. Meine Gemeinde unterzieht sich bereits seit einigen Jahren diesem Coaching-Prozess und hat daher mittlerweile einen soliden Datenstamm gesammelt, um ihr Gemeindeprofil regelmäßig zu evaluieren. Ich kann die NGE nur empfehlen. Christian A. Schwarz ist zusammen mit seinem Vater Fritz einer der Begründer der [„Theologie des Gemeindeaufbaus“] 1983 im deutschsprachigen Raum. Selbst aus einem landeskirchlichen Umfeld kommend, hat er die NGE aber in allen Konfessionen angedockt, und das weltweit.

Hier die „12 Antworten“ im Überblick:

  1. Den epochalen Wandel begreifen: Während viele Menschen spüren, dass traditionelle Formen des kirchlichen Lebens in unzähligen Fällen nicht mehr funktionieren, wird nur selten zur Kenntnis genommen, dass auch nicht-traditionelle Formen, die noch bis vor wenigen Jahren als hoffnungsvolle Alternativen im Brennpunkt standen, deutlich an Relevanz verloren haben. Der gegenwärtige Wandel im kirchlichen Beteiligungsverhalten ist ein Aufruf zu Reformen weit über Programm- und Strukturfragen hinaus.
  2. Führung neu definieren: Die meisten Gemeinden versuchen, den Herausforderungen von heute mit Führungskonzepten von gestern zu begegnen. Es wird weithin übersehen, dass Skandale mit geistlichem, emotionalem und körperlichen Missbrauch ihre tiefste Wurzel in einem Klima haben, das die Freiheit der Menschen beschneidet, ihre persönliche Verantwortung aushöhlt und die eigene Mündigkeit untergräbt.
  3. Von den Ostkirchen lernen: Eine der Hauptursachen der schwindenden Relevanz des Christentums ist die Entfremdung zwischen seinem östlichen und seinem westlichen Flügel. Während sich die meisten Versuche, die Relevanzkrise anzugehen, etwas davon versprechen, Westler noch westlicher zu machen (und Vertreter der Ostkirchen noch östlicher), besteht die Herausforderung unserer Zeit darin, den genau umgekehrten Weg einzuschlagen: der Westen lernt vom Osten und der Osten lernt vom Westen.
  4. Die biblische Realität der Energie Gottes wiederentdecken: Es gibt eine hoch relevante Lehre im Neuen Testament, die im westlichen Christentum fast gänzlich unbekannt geblieben ist – das Konzept der Energie Gottes. Dieser Missstand erklärt eine Fülle von Problemen, mit denen sich das westliche Christentum heute konfrontiert sieht. Die Hebung dieses neutestamentlichen Schatzes könnte sich durchaus als Schlüssel zu einer geistlichen Reform entpuppen. (Eph. 4, 16; 1. Kor. 12, 6; 1. Kor. 16, 9; Phil. 2, 13; Jak, 5, 16)
  5. Der transpersonalen Dimension Gottes begegnen: In der Vergangenheit hat das Christentum so sehr das Personsein Gottes in den Vordergrund gestellt, dass dabei Gottes transpersonale Dimension (transpersonal=nicht weniger als eine Person, sondern mehr als eine Person) kaum noch Beachtung fand. Die Neigung zu binärem Denken (entweder/oder) macht es praktisch unmöglich, beide Dimensionen zusammenzubringen. Gott ausschließlich als Person zu verstehen ist ebenso unbiblisch wie der gegenteilige Versuch, ihn auf unpersönliche Kategorien zu reduzieren.
  6. Unterschiedliche geistliche Stile fördern: Einer der Hauptgründe für zunehmende Unzufriedenheit mit bestehenden Gemeinden ist ein mangelndes Bewusstsein dafür, dass Menschen unterschiedliche geistliche Stile haben. Die Blindheit gegenüber dieser Tatsache hat möglicherweise mehr Menschen der Kirche entfremdet als der Säkularismus oder die Anziehungskraft nicht-christlicher religiöser Angebote.
  7. Die „Wir/Ihr“-Trennung überwinden: Viele christliche Gruppen neigen dazu, eine scharfe Grenze zwischen In-Group („Wir“) und Out-Group („Ihr“) zu ziehen. Diese Aufteilung hat Mauern geschaffen, die für Außenstehende nur schwer zu durchbrechen sind. Um jedoch ein starkes und gesundes „Wir“ zu fördern, ist die „Wir/Ihr“-Denkweise gänzlich unnötig, ja meist sogar kontraproduktiv.
  8. Auf Augenhöhe kommunizieren: Der Schlüssel zu jedem interkulturellen, interkonfessionellen und interreligiösen Dialog ist der authentische Wille, selber zu lernen und zu wachsen. Christen können von undogmatischen Atheisten ebenso viel lernen wie von undogmatischen Christen – und umgekehrt. (Wilhelm Weischedel, André Comte-Sponville, Alain de Botton, Heiko Ernst)
  9. Fundamentalistische Tendenzen austrocknen: In den letzten Jahren hat der Fundamentalismus in beispielloser Weise zugenommen, sowohl in der Religion als auch im Atheismus. Häufig ist Fundamentalismus die tiefste Wurzel gesellschaftlicher Konflikte, die zu Gewalt und Krieg führen. Strategische Arbeit an gemeindlicher Gesundheit mildert automatisch fundamentalistische Neigungen, und schafft gleichzeitig Raum für die berechtigten Anliegen, die sich häufig hinter einer fundamentalistischen Denkweise verbergen. (5 Schritte)
  10. Überholte Bilder von Glaube und Wissenschaft ausmustern: Viele Menschen haben den Eindruck, es gäbe eine unüberbrückbare Kluft zwischen Wissenschaft und Glaube. Dieser Eindruck ist das Ergebnis dessen, was als „Kategorieverwechslung“ bezeichnet werden kann. Es ist, als würden wir fragen: „Ist eine Birne grün oder eine Frucht?“ Bei näherem Hinsehen besteht keinerlei Konflikt zwischen Wissenschaft und Glaube. Wohl aber gibt es Konflikte zwischen den feindlichen fundamentalistischen Flügeln, die gar nicht merken, dass sie fortwährend in die Falle der Kategorieverwechslung tappen.
  11. Die 10/90-Realität anerkennen: Selbst extrem engagierte Gemeindemitglieder verbringen nur äußerst selten mehr als 10 % ihrer Wachzeit in kirchlich organisierten Veranstaltungen. Der Schwerpunkt zukünftiger Aktivitäten sollte nicht darin bestehen, diesen Prozentsatz zu steigern, sondern Menschen zu befähigen, in den übrigen 90 % die Werte und die Kraft des Reiches Gottes  zum Ausdruck zu bringen – genau dort, wo sie die meiste Zeit verbringen, und unter den Menschen, mit denen sie natürlich verbunden sind. Je jünger ein Mensch ist, desto entscheidender ist dieser Grundsatz für das eigene geistliche Überleben.
  12. In einen Prozess fortwährenden Wachstums einsteigen: Der christliche Glaube ist per Definition ein Prozess kontinuierlichen Wachstums. Während die meisten westlichen Christen dieser Aussage durchaus zustimmen würden, wird sie in der Praxis nur selten ernst genommen. Forschungen zeigen: Je länger ein Mensch Christ ist, desto wahrscheinlicher wird es, dass sich das geistliche Leben rückwärts entwickelt.

Schwarz zeigt mögliche Wege auf, die nicht die einzigen sein müssen und/oder andere ausschließen. Sie sind kein „Geheimrezept“. Der Ukrainekrieg war beim Verfassen des Buches noch nicht ausgebrochen. Möglicherweise sind noch ganz andere Schritte in Glaube und Verkündigung (Mission) für die nachfolgenden Generationen erforderlich (warum sind wir eigentlich schon bei „Gen. Z“?). Aber im Nachwort ermuntert er: „Sofort anfangen!“ Nicht lange vorbereiten. Wir haben alles, was wir brauchen! Christen (auch Katholiken) brauchen niemanden um Erlaubnis zu fragen, ob und wann wir unserer missionalen Berufung folgen.