Supergau 1: Willow Creek

Supergau 1: Willow Creek

Im Oktober wollte Bill Hybels die Leitung der Willow-Creek-Community in jüngere Hände legen. Zusammen mit der Leitung der Gemeinde und der angeschlossenen Werke wurde eine Doppelspitze erbetet, gewählt und bestellt: Heather Larson für die pastorale Leitung und Steve Carter als ltd. Lehrpastor.

Willow Creek ist pastoral von internationaler Bedeutung: Als Gemeindemodell, als nationales Konferenzformat für Leitende und als Schulung im „Leadership-Summit“ für Pioniere. Mit mittlerweile mehr als 10.000 Teilnehmern sind die Willow-Creek-Leitungskongresse auch in Deutschland wichtige Impulsgeber durch Vorträge, Pausengespräche und gemeinsamen Lobpreis. Auch [mich hat Willow-Creek entscheidend angefixt], seitdem ich [2016 zum ersten Mal dabei] war. Auch [mit Willow vernetzt ist fresh-X], der wesentliche Unterschied: Willow ist das Modell für eine Komm-Kirche, fresh-X für eine Geh-hinaus-Kirche.

Der letzte Auftritt beim Leitungskongress: Bill Hybels (Mitte) bedankt sich beim Dolmetscher und Moderator. (Foto: Willow Creek Deutschland)

Im März 2018 tauchten in der amerikanischen Presse Missbrauchsvorwürfe ehemaliger Mitarbeiterinnen gegen Bill Hybels auf. Waren sie ernst zu nehmen, oder handelte es sich um persönliche Racheakte? War es eine Pressekampagne, um Bill Hybels und seine Leistungen für eine missionarisch ausgerichtete Kirche zum Ende seiner Dienstzeit zu diskreditieren? Die Leitungsorgane von Willow-Creek haben sich schwer getan, hier Klarheit zu bekommen und zu schaffen. Schließlich schloss Bill Hybels selbst nicht aus, sich vielleicht in der einen oder anderen Situation unangemesssen verhalten zu haben, bzw. eine sensible Distanz nicht gewahrt zu haben, und bat um Verzeihung. Um die Gemeinde und das Werk nicht weiter zu beschädigen, zog er seinen Eintritt in den Ruhestand vor und trat im April 2018 von allen Ämtern zurück. Damit lag die Leitungsverantwortung etwas eher auf der neuen Gemeindeleitung.

Die Diskussionen gingen aber weiter. Die Missbrauchsopfer hielten der Gemeindeleitung vor, sie nicht angemessen ernst zu nehmen, indem sie eher Bill Hybels und ihre eigene Gemeinde schützen wollten. Die Angriffe gegen Bill Hybels verdichteten sich. Man warf sich gegenseitig mangelnde Gesprächsbereitschaft vor. Dann tauchten, wiederum in der Presse, derart eklatante Einzelheiten auf, die klaren sexuellen Missbrauch und Ehebruch seitens Bill Hybels zum Inhalt hatten, sodass sich der Leading teaching pastor Steve Carter genötigt sah, sein neues Amt wieder niederzulegen, weil er den bisherigen Umgang der Gemeindeleitung mit dem ganzen Problem nicht weiter unterstützen konnte. Und nicht nur das, im August trat er ganz aus der Willow-Creek-Community aus.

Auch die Willow-Creek-Kongressorganisation hat mit den Konsequenzen zu kämpfen. Einige Kirchen, die das Willow-Leadership-Summit im Sommer mitverantworteten, cancelten bis auf Weiteres ihre Mitwirkung. In den Vorständen der nationalen Willow-Creek-Leitungskongresse wurde ebenfalls die Entwicklung diskutiert und mit Bestürzung reagiert.

Nur wenige Tage nach dem Austritt von Steve Carter gab die Gemeindeleitung zu, der Krise zu einseitig zugunsten von Bill Hybels begegnet zu sein und möglicherweise Täter und Opfer verwechselt und damit gegeneinander ausgespielt zu haben. Als Konsequenz ist nun auch die ltd. Pastorin Heather Larson und mit ihr die gesamte Gemeindeleitung von Willow-Creek zurückgetreten. Der Super-Gau!

Ein totaler Neuanfang von Grund auf, mit völlig neuen Leuten ist nun angesagt. Welche Auswirkungen das auf die nationalen Willow-Komitees hat, ist noch nicht abzusehen. Ulrich Eggers, Leiter von Willow-Creek Deutschland, hat für den geplanten Willow-Creek Leitungskongress 2020 in Karlsruhe eine sorgfältige Aufarbeitung angekündigt. [Interview hier.] Ich persönlich plädiere dafür, dass wir uns von Willow-Creek in Chicago unabhängiger machen, um ihnen erst einmal Zeit für die eigene Krisenbewältigung zu geben. Mit [dynamissio] hat Willow Deutschland zudem ein Kongressformat geschaffen, das es wert ist, stärker für die Bedürfnisse der Kirchen in Deutschland einzutreten, und zwar inkl. der katholischen. [K.A.M.P.] und [Mission Manifest] gehören in ein solches Netzwerk hinein [mehr dazu hier]!

[Überblick über den Verlauf der Ereignisse im „Leiterblog“ von Lothar Krauss (FCG Gifhorn.]

Die Leistungen von Bill Hybels für ein aufmerksames Umgehen mit Leitungsveranwortung, bzw. überhaupt erst einmal dieses Thema in der kirchlichen Pastoral auf die Tagesordnung gesetzt zu haben, sind unbestritten. Ich meine nicht, dass seine Bücher nun entsorgt werden müssen. Ich habe sie zwar nicht alle gelesen, aber wir sollten es kritisch tun: Wo wird Leitung pervertiert zum Machtmissbrauch? Wo gibt es Tendenzen oder Unschärfen, wo ist Einfluss und Macht nicht mehr kontrollierbar? Wo hindern hierarchische Strukturen einen Umgang im Team auf Augenhöhe? Ich bin mir des Glatteises durchaus bewusst, auf dem ich mich hier als Katholik bewege, denn auch wir sind ja gebrannte Kinder. Was ich aber auch feststellen muss: Klerikalismus und Personenkult feiern auch in Freikirchen fröhliche Urständ. Manch Gemeindegründer verwechselt sein Profilierungsbedürfnis mit dem Willen Gottes.

Da trifft es sich gut, dass ich gerade das Buch „Geistlicher Missbrauch – Auswege aus frommer Gewalt“ von [Inge Tempelmann] lese, Witten (SCM) 42015 [ISBN978-3-417-26200-1]. Inge Tempelmann praktiziert in Lüdenscheid, wo entspr. Erfahrungsberichte auch aus der dortigen Christenszene bekannt sind. [Hier ein kritischer Kommentar zur Berichterstattung.] Die inzwischen eingerichtete [„Clearingstelle“ der Deutschen Evangelischen Allianz] steht dennoch [in der Kritik]. Ich empfehle Betroffenen, sich an konfessionell externe oder kirchlich ganz außenstehende Beratungseinrichtungen zu wenden. Missbrauch ist ja bei weitem nicht nur auf Sexualität beschränkt, sondern auch spirituell gibt es Machtmissbrauch. nicht nur bei Salafisten. Und das nicht nur in der Vergangenheit, auch gegenwärtig ist niemand davor gefeit. In allen Denominationen müssen wir sensibel sein. Leitungsbücher oder Kongresse sind keine Garantie, dass wir Macht nicht pervertieren. Externes Coaching als Einzelner, als Team oder als ganze Gemeinde ist ein präventiver Weg! Wer als Seelsorger keinen Coach bzw. kein [geistliches Coaching (inkl. Beichtpraxis)] pflegt, ist für mich inkompetent.

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