Nach einem [freikirchlichen Supergau] nun ein katholischer, der aber schon länger „schmort“, seitdem der Jesuit [Klaus Mertes] 2010 Missbrauchsvorwürfe am Berliner Canisius-Kolleg öffentlich gemacht hat. Irland, Chile, Australien, Österreich, Deutschland – eine Weltkirche hat sich auch mit weltweiten Problemlagen zu beschäftigen. Im Anschluss an die schockierenden Berichte aus Pennsylvania haben in weiteren US-Bundesstaaten Staatsanwälte die jeweiligen kath. Bistümer zum Rapport einbestellt. Die oberste Beraterriege und die Wahlmännercrew der röm.-kath. Kirche ist mit einigen Kardinälen involviert. Die Auswirkungen sind verheerend. In online-Kommentaren der Zeitung meiner Stadt wurde vor kath. Zeltlagern gewarnt und Jugendgruppenleiter pauschal diffamiert.
Weniger bekannt ist, dass 2010 im [Bistum Osnabrück] mit die schärfsten [Präventionsmaßnahmen eingeführt] wurden, noch bevor in Niedersachsen die meisten Punkte davon generell für die Arbeit mit Kindern und Jugendlichen auch in Freizeit und Sport übernommen wurden. Das reicht von polizeil. Führungszeugnissen auch für Ehrenamtliche, schriftl. Verpflichtungserklärungen von Mitarbeiter/innen in punktuellen Projekten bis hin zu Pflichtseminaren für alle Hauptamtlichen, die in regelmäßigen Abständen erneuert werden müssen. Schon im Theologie- und Religionspädagogik-Studium, aber auch in der Gruppenleiterausbildung für junge Erwachsene stehen Missbrauchsprävention und Persönlichkeitsbildung auch hinsichtlich der sexuellen Identität und Reife auf dem Programm. Missbrauchsbeauftragte (jeweils Männer und Frauen) wurden eingesetzt. Von freikirchlichen Gemeindebünden weiß ich, dass der [Mülheimer Verband] ähnlich strenge Regeln hat.
In meiner nachmittäglichen Workshop-Gruppe von [Meet Mission Manifest] am 28.07.2018 in Altötting waren viele Mitglieder von „Regnum Christi“. Sollte es einen generellen Teilnehmer-Schwerpunkt dieser Gemeinschaft in Altötting gegeben haben, werden sich deren Mitglieder und die Veranstalter von Meet-Mission-Manifest hoffentlich darüber im klaren sein, welch schwere Hypothek sie sich damit aufgeladen haben. Die „Legionäre Christi“ und Regnum Christi als deren Laienorganisation waren eine der Speerspitzen des Missbrauchs- und Korruptions-Skandals in der katholischen Kirche, der 2010 aufgedeckt wurde und dessen Aufarbeitung in diesen beiden Organisationen erst in diesem Jahr (2018) mit einer neuen Ordensregel beendet werden soll. Dass die Verantwortung von der Gemeinschaft ausschließlich auf deren Gründer Marcial Maciel (1920–2008) abgewälzt wird, halte ich für einen schweren Mangel. Mir kann keiner erzählen, dass niemand in den Leitungsebenen etwas davon bemerkt haben will. PP. Johannes Paul II. hat Maciel mit den Machenschaften der Legionäre bis hin zu deren Unterstützung des chilenischen Diktators Pinochet und rassistischer Adelsvereinigungen gedeckt [Quelle: Christian Modehn] Erst PP. Benedikt XVI. ist auf Distanz gegangen und hat eine umfassende Untersuchung eingeleitet. Was sich als Folge davon an Abgründen von Verstrickung und Vertuschung aufgetan hat, wird den Rücktritt von PP. Benedikt wesentlich beeinflusst haben. Und die Heiligsprechung von PP. Johannes Paul II. kann nicht ohne diesen schweren Schatten gesehen werden.
PP. Franziskus, dessen Integrität in diesem Skandal von mächtigen Kurialbeamten angezweifelt wird, hat den Finger auf die Wunde „Klerikalismus“ gelegt, mit dem alle deutschen Bischöfe bereits 2015 in ihrer Erklärung [„Gemeinsam Kirche sein“] auf S. 15 gebrochen haben. Dass die „Klerikerfalle“ etwas mit der hierarchischen Struktur zu tun hat, müssen Katholiken noch entdecken. Sie entstand in der Folge der „Konstantinischen Wende“, als Katholisch-Sein verpflichtende Staatsreligion im Römischen Reich wurde. Die Hierarchie hat sich seither nicht wesentlich geändert, jedenfalls nicht in der römischen Version der einen Kirche, und in der orthodoxen auch nicht. Die Fokussierung aller Charismen auf das Amt (vgl. Apostolicam Actuositatem Nr. 3) und ein Weiheverständnis als „ontologisches Plus“ muss ein Ende haben. Amt ist Dienst, und warum sollen Amtsträger ihre Brötchen nicht durch eigener Hände Arbeit (1. Kor. 4, 12) verdienen, wie es für Christenmenschen normal ist? Ein Wesensunterschied zwischen gemeinsamem und Weihepriestertum (Lumen Gentium Nr. 10) ist für die Zukunft der Kirche unakzeptabel. „Apostolische Sukzession“ per Handauflegung muss eine geistliche Realität sein. Sie wird nicht nur durch Kirchentrennung, sondern auch durch mangelnde Integrität der „Apostel“ gebrochen. Dem muss realistisch ins Auge gesehen werden. Reformations- und Freikirchen haben durchaus das Zeug, andere Strukturmodelle zu realisieren – sind aber gleichwohl per se in der Versuchung, hauptamtliche Leitungskompetenz mit Machtmissbrauch zu verwechseln.
Die Missbrauchsverbrechen – seien sie sexueller oder geistlicher Natur – haben die generelle Glaubwürdigkeit von Christen nachhaltig beschädigt, und den Grundauftrag der Evangelisierung gleich mit. Es ist ein Supergau. Ich erlebe das in vielen Straßenmissionen immer wieder. Da kann ich nicht einfach so zur Tagesordnung übergehen, selbst wenn ich mutig und unverzagt in die Zukunft des Glaubens in der Welt von morgen blicke.