Jahres-Mitarbeitertagung des Mülheimer Verbands (MV), diesmal im schönen und modernen Gemeindezentrum der [Christlichen Gemeinschaft Ellmendingen], einem Ortsteil von Keltern bei Karlsruhe. Wenn die Trennwände zum Foyer zur Seite geschoben werden, finden ca. 400 Personen im Saal Platz. Das Gemeindezentrum ist auf Wachstum konzipiert – die Zahl der Gruppenräume kommt bereits an ihre Grenze.
Wegen einer Familienfeier kann ich den ersten Tag nicht dabei sein. Ich muss mir also berichten lassen, was vor allem John van Dinther in seinem Hauptvortrag den MV-Gemeinden ins Stammbuch geschrieben hat. [Das ist hier zu lesen.] Zum ECHT!-Profil gehören viele Workshops, die zur aktuellen Entwicklung der MV-Gemeinden veranstaltet werden und die mit Seminarleitern und -leiterinnen aus dem eigenen Verband besetzt sind. Vorgestellt werden Projekte und Programme, die schon in den Gemeinden erfolgreich gelaufen sind. [Hier eine Übersicht.]
Ich mache den Workshop „Gemeindewachstum“ mit Timm Oelkers mit, kurzfristig ins Programm aufgenommen. „Wir sind Experten im Analysieren unserer Gemeinden! Aber was dann? In diesem Workshop wollen wir lernen, was wir tun und was wir lassen müssen, damit unsere Gemeinden stark nach innen und außen wachsen“, heißt es in der Ankündigung. In der [Credo-Gemeinde] Mülheim-Saarn bin ich schon einige Male zu Gast gewesen und kann mir die Thesen Oelkers‘ recht lebendig vor Augen führen. Unter den Stichworten „Liebe – Annahme – Heilung“ untersuchen wir 1. welcher Bedarf im Stadtteil besteht (Kontextorientierter Ansatz von Johannes Reimer und Tobias Faix [siehe Literaturliste]) und was wir überhaupt leisten können (charismenorientiertes Handeln), 2. was unser(e) Ziel(e) ist/sind, was 3. unsere eigene Handlungsbasis ist (Gebet und Prophetie) und zu welchen praktischen Konsequenzen wir 4. kommen. Wie schon „in meiner alten Firma“ ist die Frage, nicht nur was wir (Neues) tun müssen, sondern auch was wir besser lassen sollten („tote Pferde“) nicht zu vernachlässigen. „Das haben wir hier immer schon so gemacht“ ist ein Totschlagsargument für neue Ideen und kreatives Gestalten. [Pioniere, die neue Trampelpfade bahnen], brauchen geistliche Bevollmächtigung für sich selber und Rückendeckung durch die Gemeindeleitung.
Neben dem Lerneffekt aus den aktuellen Problemlagen steht natürlich auch das Wiedersehen und Kennenlernen neuer Leute im Zentrum einer solchen Konferenz. Neue Kontakte werden geknüpft und das persönliche Netzwerk vervollständigt. Echt super!
Nicht zuletzt sind die, wie im MV üblich, reichlichen Lobpreis- und Gebetszeiten ein ebenso herausfordernder wie zentrierender Pol im Tagungsablauf.
Das Ausrufezeichen, das die ECHT! für sich in Anspruch nimmt, ist also in jeder Hinsicht berechtigt. Mich persönlich hat der Schlussgottesdienst mit der Predigt meines Heimatpastors über das „Über-Bord-Gehen“ in Mt. 14, 28–31 „echt“ stark berührt – war er doch einerseits eine Erinnerung an [mein eigenes Erleben vor genau einem Jahr], andererseits eine Konfrontation mit der Treue Gottes zu mir, die mich erzittern ließ und mir beim ausgerechnet die Predigt beschließenden Song „No longer slaves“ die Tränen in die Augen trieb, was nicht allzu oft vorkommt [Text und Musik am Ende dieses Links]. Da war es wieder – dieses „Kribbeln im Bauch“ wenn Weichen auf dem Lebensweg gestellt werden bzw. zu stellen sind!
Aber ich habe oben im Titel auch ein Fragezeichen gesetzt: ECHT!?
Ich will meine eigenen Fragen und die Fragwürdigkeit meiner Person keinesfalls verdrängen. Aber es ist auch eine Frage an die Echtheit des Mülheimer Verbands und meiner eigenen Gemeinde. Insgesamt stagniert die Mitgliederentwicklung des MV, zwar regional unterschiedlich, und die Gemeinde in meiner Stadt schrumpft (nach Bereinigung von „Karteileichen“). „Das – geht – überhaupt nicht!“ möchte ich mit meinem Workshopleiter ausrufen, und gleichzeitig die Frage stellen: „Was müssen wir jetzt tun? Was sollte ich tun?“ Kirche / Gemeinde findet ihre wesentlichste Identität in der Evangelisation. Das gilt für alle Konfessionen, nicht nur für Freikirchen (wobei diese Formulierung von PP. Paul VI. stammt, EN 14). Wie soll eine Gemeinde evangelistischer werden, wenn sie selbst nicht, oder nicht mehr, oder nicht genug, evangelisiert ist?
John van Dinther hat von seinen multikulturellen oder multiethnischen Gemeinde(gründunge)n in Skandinavien berichtet: Welche Herausforderung und welches Kompetenzprofil auf eine Gemeindeleitung zukommt, wenn sie Migranten zu Jesus und in seine Gemeinde einlädt. In dieser Frage hat meine Gemeinde – also auch ich – ziemlich versagt. Wir sind immer noch eine bürgerlich-akademische Milieugemeinde. Zwar arbeiten einzelne Gemeindemitglieder in der Flüchtlingshilfe mit, aber in den Initiativen unseres Stadtteils sind wir als Gesamtgemeinde nicht dabei. 3. Mos./Lev. 19, 33-34 par und Mt. 25, 35c (das für alle Passanten sichtbar als Inschrift auf der Domhof-Seite der bischöfl. Kanzlei prangt…) sind in meiner Gemeinde nicht so richtig angekommen. Eine schrumpfende Gemeinde hat grauen Star bekommen und kann das Nächstliegende nicht mehr sehen. Da kommt es wohl nicht von ungefähr, dass gegen Ende des Gottesdienstes ausdrücklich für die Gemeinde meiner Stadt gebetet wird – nicht nur weil ihr Pastor gerade gepredigt hat.
„Jünger machen“ (Mt. 28, 19) – ich wiederhole hier die Formulierung aus dem aktuellen Kath. Katechismus (Prolog Nr. 4), die in der Vision und Kultur der [DNA des MV] entsprechend ausformuliert ist, können nur Menschen, die sich selbst zur Jüngerschaft entschlossen haben. Eine Gemeinde/Kirche ist nur dann missionarisch, wenn sich ihre Mitglieder haben missionieren lassen, statt nur Tradition und Brauchtum zu erhalten (das, wie bei den Sachsen vor 1.000 Jahren, auf Zwangsbekehrung fußt. Es ist das Verdienst von Heribert Mühlen, dies schon vor 40 Jahren deutlich gemacht zu haben.) Darum muss eine profunde Jüngerschaftsschulung (Erwachsenenkatechese) das Projekt der näheren Zukunft sein. Der MV bietet hierfür kooperativ [entsprechende Maßnahmen] an. Da bin ich gerne dabei!
Als Fazit der ECHT! also wieder ein Ausrufezeichen!
Viele Fragen, viele Möglichkeiten, viele Perspektiven – echt konkret und echt praxistauglich. Das Erlebnis der „Zukunftsbaustelle Kirche“ zum Anfassen, ohne die übliche Sprechblasen-Pastoral der Traditionskirchen, ohne wohlmeinende Appelle, die dann doch keiner umsetzen will. Kraftvoll bei Gebet und Gottesdienst, erfrischend in der Musik, tiefgehend in der Predigt, in eine „heilige Unruhe“ versetzend im helfenden Gebet.
Danke für diese „Tankstelle“, danke für alle, die im Vorder- und Hintergrund mitgewirkt und die dieses geistliche Event ermöglicht haben! Danke allen, die uns beherbergt und verpflegt haben! Danke Dir, Heiliger Geist, den wir so hautnah spüren durften!
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