Kirche von gestern

Kirche von gestern

Es sind nicht nur der [„Synodale Weg“] mit seiner Forderung nach der Frauenweihe und dem Ende des Pflichtzölibats, aber mit Verbleib in den herkömmlichen Strukturen, in denen die Sehnsucht nach der Kirche des vorigen bzw. 19. Jahrhunderts zum Ausdruck kommt. Es sind auch die geglückten oder leider technisch wie spirituell missratenen Versuche, der digitalen Herausforderung in Zeiten der Corona-Krise gerecht zu werden.

Dialogpredigt von Gemeindeleiterin und Gottesdienstleiter.

Wo sind die Wortgottesfeiern in den AV-Medien? Warum fallen Katholiken nur „Geistermessen“ (Abendmahl/Eucharistie nur als Show zum Angucken) mit ihren theologischen und pastoralen Fragwürdigkeiten ein? Wo werden die Chancen für Laienpredigten und Frauenpredigten wirklich wahrgenommen und durchgezogen? Da muss man im Netz schon [sehr gründlich suchen], um fündig zu werden [leider nur zum Lesen. Wo werden die Predigten auch wirklich gehalten?]. Ich habe keine „normale“ kath. Gemeinde gefunden, welche so innovativ war, diesen Kairos beim Schopf zu packen. Einige wenige Initiativen, die aber nicht als Kirchengemeinden verfasst sind, haben es gemacht (immerhin haben die Wochenimpulse des Domradios Köln nicht nur klerikale Verfasser/innen).

Es heißt jetzt: Eine Rückkehr zur Pastoral von vor der Corona-Krise solle es nicht geben. Ein Wort in Gottes Ohr! Ich glaube nicht daran. Die Kirchen-Verantwortlichen werden alles daran setzen, den Zustand von vor den Corona-Maßnahmen wieder herzustellen und Innovationen als der Notsituation geschuldet abzublocken. Ich bin gespannt, inwieweit sich Heiner Wilmer (Bischof von Hildesheim), Bertram Meier (Administrator von Augsburg) oder Benedikt Kranemann (Liturgiewissenschaftler in Erfurt) mit ihrer Kritik an der Eucharistie-Fixiertheit in der kath. Gemeindepraxis durchsetzen. (Zitate am Schluss dieses Blogs.)

Bereits [vor vier Jahren ist mir auch schon aufgefallen], dass ein Zusammenhang zwischen Eucharistie-Propaganda und hierarchischem Machtgehabe besteht. Die Eucharistie ist nicht Mitte kirchlichen Handelns, sondern Quelle und Höhepunkt (LG11, KKK 1324). Dazwischen gibt es noch etwas in der Mitte, und das heißt Evangelisation, die leider weitgehend ausbleibt oder sogar sabotiert wird. Die „Eucharistie-Inflation“ dient dazu, die hierarchische Struktur der römischen Kirche mit ihrem Bedarf an geweihten Männern zu begründen und zu sichern. Echte und zukunftsfähige Reformen in der kath. Kirche müssen sich auch an die Strukturen heranwagen. Dem hat Kardinal Wölki in seiner ersten Stellungnahme zum Synodalen Weg bereits eine Absage erteilt. Katholisch heiße auch: Hierarchie. Sie sei indiskutabel. Für mich ein für das 21. Jahrhundert nicht mehr tragfähiges [Relikt aus dem Mittelalter], das so ja auch über Jahrhunderte entwickelt wurde. Traditionalistische Dogmatiker und Bischöfe glauben, die hierarchische Struktur der (römischen) Kirche sei vom Himmel gefallen („gottgewollt“)… Kirchen können auch synodal verfasst sein – Beispiele gibt es ja genug.

Gemeinschaft mit Jesus und untereinander in Kleingruppen

Zukunftsfähige Konzepte? Ich kann mir nicht vorstellen, wie man Hierarchien uns postmodernen Performern plausibel machen will, die in ihren Unternehmen schlanke Leitungsmodelle praktizieren, die flexibel und entscheidungskompetenz agieren. Nicht nur bei der „Smart Church“ sind uns die [Freikirchen um Längen voraus]. Ein offenes Eucharistieverständnis z. B. macht „Wohnzimmerabendmahl“ möglich, und das ist nicht zur zum Angucken. Viele kleine Hauskirchen konzelebrieren online mit dem gestreamten Gottesdienst aus der Gemeinde, ähnlich wie ich es auch auf den Evangelischen Kirchentagen beim Abschlussgottesdienst erlebe, wo es viele kleine Abendmahlstische/Altäre gibt, an denen „auf Abstand“ (wow, das hatten wir also schon!) konzelebriert wird, damit alle 100.000 in überschaubaren Gruppen die Euchariste (unter beiden Gestalten selbstverständlich) empfangen können. In keiner Freikirche wurde über Karfreitag und Ostern während der Corona-Krise 2020 auf angemessene und würdige Kommunionfeiern verzichtet!

Solche „Do-it-yourself-Messen“ haben dem Wiener kath. Dogmatiker Jan-Heiner Tück (und nicht nur ihm…) die Haare zu Berge stehen lassen. Sei’s drum! Eine fruchtbare Diskussion in der kath. Szene ist gar nicht erst entstanden. Nur bei Evangelischen gingen die Meinungen von „das ist jetzt dran“ bis „wenn kein ordinierter Pastor direkt anwesend ist, wird das Abendmahl nicht ordentlich verwaltet“ (CA VII: „Est autem ecclesia congregatio sanctorum, in qua evangelium pure docetur et recte administrantur sacramenta.“). Dabei kennt die kath. Kirche auch die Agape-Feier, die aber weitläufig kaum stattfindet und viele der gegenseitigen konfessionellen Vorbehalte zu tilgen vermag. Anders als Melanchthon, von dem die Kirchendefinition in der CA stammt, heißt es bei den Katholiken in Evangelii Nuntiandi von 1975 unter Nr. 14: Ihre eigentliche Identität findet die Kirche (alle Kirchen!) in der Evangelisierung (Umkehrschluss: Nicht in der Sakramentalisierung!). Zu evangelisieren (Mission) ist Aufgabe jedes Christen / jeder Christin. D. h.: Die eigentliche und tiefste Identität der Kirche (also auch der römischen) ist nicht dem Klerus reserviert. Hierarchie, Amt und Weihe konstituieren die Kirche nicht, auch nicht als personelles Erfordernis für die Feier der Sakramente.

Für mich konstituiert sich Kirche aus Mt. 18, 20: Wo zwei oder drei… Das ist passgenau auch in der Corona-Krise praktizierbar. Das ist Realpräsenz pur, wenn z.B. zwei Christen/innen ihre Gebetszeit zu zweit in einem „Emmausgang“ durch ihren Stadtteil vornehmen! So einfach ist das und so lebendig ist der Leib Christi nach Ostern, und es ist bestimmt fruchtbarer als rituelles Angucken des Leibes im Monitor.

„Ich finde es (das Streamen nur von Eucharistiefeiern) deshalb nicht gut, weil wir damit zeigen, wie verarmt wir sind. Vielleicht manifestiert sich jetzt auch einiges. Es kann auch nicht sein, dass wir nur auf die Eucharistie fixiert sind! Natürlich ist sie wichtig, aber das Zweite Vatikanische Konzil sagt, der Herr ist nicht nur gegenwärtig in der Eucharistie, sondern auch in den Heiligen Schriften, im Lesen der Bibel, und wir sollten das Wort Jesu ernst nehmen: Wo zwei oder drei in meinem Namen versammelt sind, da bin ich mitten unter ihnen! Wir können uns zusammensetzen auch über das Internet, auch über die modernen Medien, um dies zu tun.“  [Heiner Wilmer]

„Rückkehr in die Normalität heißt eben nicht, einfach so weitermachen wie bisher: Aufgeschobenes nachholen, Sakramente weiter so spenden wie gehabt, Seelsorge in ausgetretenen Bahnen praktizieren, wie wir das eh und je gewohnt sind. Es gibt kein Vorwärts in die Vergangenheit, es gibt keine Zukunft im Rückwärtsgang. – Ist nicht jetzt gerade die Zeit, alternative Gottesdienstformen zu suchen und zu erproben? Sollten die Sakramente auch weiterhin mit Menschen gefeiert werden, die erst noch den Glauben im Alltag entdecken und leben müssen, nur weil es Tradition sei? – Es gibt vielerlei Weisen zu kommunizieren: Neben der heiligen Kommunion auch die Gemeinschaft, die Kommunion im Wort der Heiligen Schrift oder die Kommunikation untereinander als Leib Christi.“  [Bertram Meier]

Der Theologe [Benedikt Kranemann] hat im Zuge der Wiederzulassung von Gottesdiensten eine „Eucharistie-Fixiertheit“ beklagt: „Der Drang bei Kirchenverantwortlichen ist sehr stark, möglichst schnell zur Eucharistie zurückzukehren. Alternative Formen wie digitale Wortgottesdienste, Hausgottesdienste, Verknüpfungen von Musik und Gebet, Anregungen fürs persönliche Gebet – in den vergangenen Wochen sind viele kreative Formate entwickelt und erprobt worden, die dürfen mit der Lockerung des öffentlichen Gottesdienstverbots nicht wieder unter den Tisch fallen“.

Bitte: Das sind nicht nur Anforderungen an die Traditionskirchen. Auch Freikirchen haben schon Traditionen entwickelt und müssen stets neu überlegen, was Gott auf seiner Agenda für ihren Ort hat, welchen Dienst ihr lokales Umfeld eigentlich erwartet, und welche „toten Pferde im Gemeindeleben“ immer noch geritten werden. Viel Unkooperatives erlebe ich zur Zeit. Jede kleine Gemeinde macht ihr eigenes Ding. Open-Air-Gottesdienste (mit Abstand) waren nie verboten, aber unsere Stadt hat keine gemeinsame Osterfeier hinbekommen, außer dem gleichzeitigen Läuten aller verfügbaren Glocken (bei dem die Freikirchen ja auch wieder nicht mitmachen konnten…). Auch das Autokino in der Nachbarschaft bleibt sonntagsmorgens leer… Wir haben der Öffentlichkeit damit gezeigt, wie verarmt wir sind (Bischof Wilmer s. o.).

Nachtrag 30.04.2020:
Einen bemerkenswerten und mutigen Schritt hat das [Bistum Würzburg] getan: Dort wird es trotz Lockerung der Corona-Maßnahmen auf absehbare Zeit keine Eucharistiefeiern geben: „Zunächst sind nur nichteucharistische Gottesdienstformen erlaubt. Dazu gehören Wort-Gottes-Feiern ohne Kommunionspendung, die Feier der Tagzeitenliturgie und Andachten. Die Heilige Messe kann weiter über Streaming-Angebote mitgefeiert werden. „Das Wichtigste ist in der Situation der Coronakrise der Schutz der Gesundheit der Gläubigen!“, schreibt Bischof Franz Jung in seinem am Mittwoch, 29. April, veröffentlichten Dekret. Nach einer gewissen Zeit und dem Sammeln von Erfahrungen und deren Auswertung werde über die Zulassung der öffentlichen Feier der Eucharistie neu beraten.

Na bitte, geht doch.