„Ekklesia ist ein politischer Begriff!“ – ECHT! 2016

„Ekklesia ist ein politischer Begriff!“ – ECHT! 2016

echt-logo_08_128Nun sehe ich ihn live auf der Bühne, Johannes Reimer, bei der „ECHT! 2016“, der Mitarbeiterkonferenz des Mülheimer Verbands Freikirchlich-Evangelischer Gemeinden (MV) im November 2016. Seine ekklesiologische Trilogie „Die Welt umarmen“, „Die Welt verändern“ und „Die Welt verstehen“ [siehe Literaturliste] habe ich als Weiterführung der Auswertung meines [Charismen-Seminars] verschlungen, als ich vor der Frage stand: Soll ich mich gesellschaftlich oder kirchlich engagieren? und mein Mentor die Gegenfrage stellte: Warum denn nicht beides? Lies mal Reimer, dann verstehst Du, dass die persönliche Beziehung zu Jesus und die Charismen des Heiligen Geistes nicht etwas für ein Wolkenkuckucksheim sind, sondern ganz konkret unser Leben hier auf der Erde verändern wollen!

Ireimer_08_128n seinem Vortrag vor Mitarbeitenden in den Gemeinden des MV warb Reimer leidenschaftlich für ein Selbstverständnis christlicher Gemeinden, die ihren missionalen Auftrag nicht durch ständiges Kreisen um sich selbst ersetzen dürfen. Das seien schleichende Prozesse, die darum umso gefährlicher würden, weil der Blick für die Realitäten nach und nach durch wachsende Betriebsblindheit verstellt würde. Wenn die „musikalische Lobpreiskultur und das Sich-Kümmern um eine fromme Wellness-Oase“ wichtiger seien, als die Nachfolge Jesu in seiner Zuwendung zu den Menschen, dann gerate eine Gemeinde in eine Schieflage und müsse sich nicht wundern, wenn Besucher wegbleiben, wenn ihnen das Gottesdienstformat nicht mehr zusage. Eine christliche Gemeinde habe nicht nur die Aufgabe, schöne Gottesdienste zu feiern, sondern hat nicht mehr und nicht weniger den Auftrag, die Welt zu verändern, indem sie die Menschen außerhalb der Gemeinde (!) zur Bekehrung zu Jesus einlädt. „Ekklesia bedeutet: Wir sind herausgerufen aus der Welt (griech.: ek-kaleo), und in die Welt hineingesandt, um Verantwortung zu übernehmen. Wir haben der Welt zu sagen, dass Gott sich mit ihr versöhnt hat und es gerade jetzt in diesem Augenblick für Dich und mich tut – und nicht irgendwann einmal“, so Reimer. Sich von der „bösen Welt“ fernzuhalten widerspreche dem Handeln Jesu. Sein Wort gelte dem gedeihlichen Zusammenleben der Menschen im Horizont der göttlichen Ewigkeit. So wie „Jesus am Kreuz die Welt umarmt und durch sein Opfer erlöst“ habe, so müsse Mission beim gesellschaftlichen Umfeld sowohl des einzelnen Christen, als auch ihrer Gemeinden ansetzen, und zwar durch selbstlosen Dienst an ganz konkreten Menschen. Reimers Impulse gipfelten in der These: „Ekklesia – das ist ein politischer Begriff!“

In seinen Büchern versteht es Johannes Reimer, quer durch die Kirchengeschichte hindurch einen „roten Faden“ zu ziehen, bis hin zu „kontextrelevantem Gemeindeaufbau“. Nebenbei findet sich bei ihm eine beachtenswerte, weil freikirchliche, Würdigung des Zweiten Vatikanischen Konzils, das er als „Revolution in der kath. Kirche“ bezeichnet. Missionales, einladendes Christsein! Dass er mit seinen Thesen zur Transformation der Gesellschaft einen Schulterschluss mit wesentlichen Positionen moderner kath. Dogmatik und Pastoraltheologie vollzieht, ist ihm durchaus bewusst, wie er mir in der Konferenzpause gesteht – und das ihn in der „evangelikalen Szene“ neben seinen theologischen Erkenntnissen noch umstrittener macht. Während seines Hauptvortrags bei der ECHT! hatte ich streckenweise ein regelrechtes „Flashback“ in den Hörsaal 1 des Münsteraner Fürstenberghauses, wo [Johann Baptist Metz] seinerzeit uns Studenten seine Thesen zur „Politischen Theologie“ in der Pflichtvorlesung Fundamentaltheologie zu erläutern suchte. Damals fand ich das ziemlich kompliziert. Heute sehe ich, dass sich Vieles bewahrheitet hat, was damals noch einen eher prophetischen Charakter aufwies. Reimer hat die Begabung, die Theologie der Befreiung (Weiterentwicklung der Metzschen „Theologie der Welt“) gewissermaßen wieder „zu erden“, wo sie ja auch eigentlich hingehört. Glaube ist bei ihm überraschend einfach.

„Jesus Christus liebt Dich, er hat sein Leben hingegeben, um Dich zu retten, und jetzt ist er jeden Tag lebendig an Deiner Seite, um Dich zu erleuchten, zu stärken und zu befreien.“ Und: „Diese Erstverkündigung muss die Mitte der Evangelisierung und jedes Bemühens um kirchliche Erneuerung bilden.“

kein Wort aus dem Pool der Jesus-Freaks, auch kein Zitat von Johannes Reimer, sondern Originalton von PP. Franziskus, 2013 in dessen Programm „Evangelii Gaudium“, Nr. 164. Hier sind ihrerseits (neo-)evangelikale Positionen in der kath. Kirchenleitung angekommen. Reimer teilt mit mir die Auffassung, dass Evangelikales beim deutschen Verbandskatholizismus nicht gut ankomme. „Aber schau mal nach Lateinamerika“, sagt er, und seine Augen leuchten, „da sieht es ganz anders aus“. Besonders in Argentinien sind die Beziehungen zwischen der kath. Kirche und der Pfingstbewegung von viel Geschwisterlichkeit geprägt, und das sei nicht zuletzt das Verdienst besonders eines bestimmten Bischofs…

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Im zweiten Hauptvortrag geht es mit Regina Gassmann zur Sache: Diakonie als Handwerkszeug bevollmächigter Evangelisation.

Schon während meines „freiwilligen Jahres“ in einer freikirchlichen Gemeinde hatte ich durch die einschlägigen Kongresse und Treffen den Eindruck gewonnen, dass die „anthropologische Wende“ der kath. Theologie in der evangelikalen Welt gerade aktuell mit Riesenschritten aufgeholt wird. Gleichwohl darf dies nicht zu einer Einseitigkeit führen, die „Reich Gottes“ mit ordnungspolitischer Diesseitigkeit gleichsetzt (was man Reimer, Faix u. a. vorwirft). Gleichzeitig brauchen wir also eine „theozentrische Wende“, die ich besonders in der Charismatischen Erneuerung – weltweit ca. 70 Mio. kath. Christen, in Deutschland ca. 11.000 – praktiziert finde. Das spannende ist, dass dies dynamische Prozesse sind, und dass sie Konfessionsgrenzen sprengen, und dass wohl gerade darum Etliche auf allen Seiten nichts davon wissen wollen.

Ob es wirklich einen konkreten Zusammenhang zwischen den Aktivitäten der italienischen Ordensschwester Elena Guerra zur Einführung eines 9-tägigen Gebets zwischen Christi Himmelfahrt und Pfingsten („Pfingstnovene“), der Enzyklika „Divinum Illud munus“ 1897 von PP. Leo XIII über den Heiligen Geist und dessen Ausrufung über das beginnende 20. Jahrhundert (mit dem altkirchl. Hymnus „Veni Creator Spiritus“) und den Ereignissen in der „Azuza Street Mission“ von San Francisco 1906 sowie der parallel verlaufenden „Mülheimer Erweckung“ (!) gibt, mag eine abenteuerlich anmutende Analyse sein, aber ein spiritueller Zusammenhang ergibt sich für denjenigen, welcher der Dynamik des Heiligen Geistes vertraut, der weht wie und wo Er will. Faktisch sind die Anfänge der Pfingstbewegung in USA und bei uns nicht ohne gleichzeitige Prozesse in anderen Konfessionen und sogar in Rom verlaufen.

Innerhalb von gut 100 Jahren ist die Pfingstbewegung inkl. ihrer charismatischen Versionen der Großkirchen von 0 auf über 500 Mio. Anhänger gewachsen – eine Wachstumsrate wie noch nie zuvor in der Geschichte der Kirche Jesu Christi! Für mich ganz persönlich ein Grund mehr, an der „Quelle der Pfingstbewegung“ in Deutschland die Zukunftsfähigkeit einer Gemeinde zu suchen, mit all ihren Höhen, Tiefen und Baustellen zu erleben und die Wachstumschancen einer „missionalen DNA“ in den Fortschritt charismatischer Erneuerung einzubringen.

Auf der ECHT! 2016 macht sich ein evangelikal-charismatischer Gemeindeverbund auf den Weg, diakonisches Engagement als „Handwerkszeug der Evangelisierung“ zu verstehen und in [Praxis-Workshops] zu entdecken. Die vorgestellten Beispiele sind ebenso vielfältig wie anregend. Es ist genug Zeit zum Austausch in den Konferenzpausen vorgesehen, eine Stärke seitens der Programmplaner. Noch stärker empfinde ich die Lobpreis-Blöcke von ca. ½ Stunde, die jeweils den Referaten vorangestellt sind. Der Projektband gebührt mein uneingeschränkter Respekt, rockten sie doch unmittelbar zuvor schon die Jugend-Mitarbeiterkonferenz des MV in Berlin. Sie hatte echt viel zu tun!

zum Vergrößern anklicken!Am stärksten aber sind für mich die Gebetszeiten zwischendurch und gegen Ende, wo die Teilnehmer meist in kleinen Gruppen in helfendem Gebet füreinander einstehen und Segen empfangen. Das ist Standard (nicht nur) im Mülheimer Verband und wird sowohl in den Hauskreisen praktiziert, als auch in den Sonntagsgottesdiensten von geschulten Mitarbeitern angeboten – ein geistliches Plus, das ich in großkirchlichen Gottesdiensten in der Regel nicht finde.

Was bringe ich mit nach Hause?

  • Die entwaffnende Geschwisterlichkeit der Konferenzteilnehmer/innen.
  • Ein Glaube ohne Auswirkungen auf meine Umgebung ist tot.
  • Eine Beziehung zu Jesus ohne bürgerschaftliches Engagement ist ziemlich hohl. „Heiliger Boden“ ist dort, wo ich gerade stehe, bete und aktiv bin (3. Mos./Ex. 3, 10).
  • Nicht nur die erneuerte Erkenntnis bzw. [das Bewusstsein über diese Zusammenhänge], sondern Konkretes über das „Gewusst wie“ gelernt zu haben.
  • Christsein mit Herz, Hand und Fuß!

Hier gibt’s meinen [offiziellen Bericht] über diesen Testlauf eines neuen Konferenzformats.

Ich weiß, dass mein Erlöser lebt!
Ich weiß, dass er hier unten steht,
mitten in all dem Staub der Welt:
Ich weiß, dass mein Erlöser lebt.

(Frei nach Lothar Kosse)

So singe ich es am liebsten und breite meine Arme einfach nach unten aus. Danke Jesus, danke MV.

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