Urlaub im „Holländerstädtchen“ am Zusammenfluss von Treene und Eider, dem südlichsten Punkt von Nordfriesland. Eine faszinierende Stadtgeschichte. Glaubensflüchtlinge wurden nach dem 30-jährigen Krieg vom dänischen König eingeladen, dem geschundenen Land wieder auf die Beine zu helfen. So kamen [Remonstranten] aus den Niederlanden, [Mennoniten], Katholiken, Lutheraner, Juden und zeitweise auch [Quäker] und weitere kleine Gruppen und siedelten sich an, um „es zu schaffen“. Gemeinsam im Stadtrat! Besonders die Remonstranten sorgten immer wieder dafür, dass den anderen Minderheiten Toleranz und Akzeptanz widerfuhr. 1938 gelang das allerdings nicht mehr. Die Christen Friedrichstadts vermochten es nicht, die jüdische Gemeinde vor der Vernichtung zu bewahren – bis heute eine schwere Hypothek in der Stadtgeschichte. Sie wird im Stadtmuseum eindrucksvoll präsentiert. Friedrichstadt ist etwas ganz besonderes!
Heerscharen von Touristen bevölkern tagsüber die kleine Stadt mit ihren Giebelhäusern und Grachten. Die religiöse Toleranz ist bei allen Stadtführern in ihren Trachten Thema Nr. 1. Ein gemeinsames Mitteilungsblatt „Kirche in Friedrichstadt“ berichtet monatlich über die Aktivitäten von Lutheranern in ihren beiden Gemeinden (deutsch und dänisch), Remonstranten, Katholiken und Mennoniten. Aber, und so ging es mir am ersten Urlaubssonntag: Die Christen suchen anscheinend das Weite! Die deutschen Lutheraner sind in der zugegebenermaßen gemütlichen und hervorragend restaurierten kleinen Dorfkirche im benachbarten Koldenbüttel, die Katholiken sind schon seit 1935 mit der Husumer Gemeinde zusammen und fahren auch dorthin zur hl. Messe, seitdem der letzte Ruhestandspriester von Friedrichstadt gestorben ist, die Mennoniten treffen sich dreimal im Jahr in ihrer kleinen Kapelle, die Remonstranten ähnlich selten, weil der Pastor ganz aus Groningen anreisen muss, und die einzigen, die noch in der Stadt die Stellung halten, sind die dänischen Lutheraner, vor allem jedoch weil das kulturelle Zentrum der [Sydsleswigsk Forening] in Frederikstad ist und der Pastor auch dort wohnt. So wollte ich also einen Gottesdienst in der 3.000-Einwohner-Stadt mitfeiern, und die einzigen, die sich dort trafen, war die kleine dänische Gemeinde, die in der Mennonitenkapelle zusammenkommt. Wir waren ca. 20 Leute. Zum Glück war die Predigt zweisprachig. Das Mitbeten und -singen auf Dänisch war dann für mich so ähnlich wie Sprachengebet…
Ist das kirchliche Leben in Friedrichstadt mittlerweile nicht viel mehr als nur noch Museum? Wie wirken leere Kirchen eigentlich auf Touristen? Die kath. Kirche ist längst profaniert. Pläne für eine Weiternutzung als Kulturkirche sind gescheitert. Diese Rolle hat schon die ehem. Synagoge bekommen. Dennoch wird sie noch als Kapelle für einen monatlichen Werktagsgottesdienst genutzt.
Aber sie verfällt langsam und ist schon in einem traurigen Zustand. Ein Gerüst schützt die vielen Touristen vor aus der Fassade herabfallenden Steinen. Im Stadtmuseum kann man lesen, dass von den 400 Katholiken 20 regelmäßig die hl. Messe in Husum mitfeiern (ob diese Zahlen heute noch realistisch sind, weiß ich nicht). Das sind 5%, die Hälfte des Bundesdurchschnitts. Die deutsche lutherische Gemeinde hat große Probleme, ihre schöne alte St. Christophorus-Kirche vom Nässeschwamm in der Holzkonstruktion des Chorgewölbes zu bewahren und darüber hinaus das noch gar nicht so alte Gemeindehaus betriebswirtschaflich halten zu können. Mennoniten und Remonstranten treffen sich eh nur ein paarmal im Jahr. Ob die verbliebenen Christen mit Interesse, das besondere Profil ihrer Stadt neu zukunftsfähig zu machen, in den beiden Bürgerinitiativen vertreten sind und mitmachen? Warum können die Gottesdienstzeiten nicht so koordiniert werden, dass wenigstens eine der Kirchen an einem Sonntag aktiv ist? Warum ist die konfessionelle Identität wichtiger als der Grundauftrag, den alle Kirchen von ihrem Herrn bekommen haben? Mir fällt das Motto der Willow-Creek-Community wieder ein: „Die Ortsgemeinde ist die Hoffnung der Welt“ – stattdessen laufen die Christen auseinander.
Wie anders erlebe ich an einem der folgenden Sonntage den Gottesdienst in der [„Arche Nordfriesland“]! Ich fahre also auch woanders hin, 60km Richtung Dänemark. Ein schönes Gemeindehaus mit genug Potential für Zuwachs, mit eigenfinanziertem Pastor und BuFDi, einmal im Jahr ein großartiges Event zusammen mit vielen anderen bürgerschaftlichen Organisationen der Stadt („LOVE Niebüll“) mit der Chance zu evangelistischer Präsentation, und ganz neu monatlich „Family & Friends“, ein offener Sonntagsgottesdienst für alle mit kreativen Elementen, Imbiss, Kontakt und Gespräch – und das alles wuppen 35 Mitglieder mit einigen Freunden!
Ich stoße auf eine Gruppe Jugendlicher aus Mülheim an der Ruhr, die mit ihrem Jugendpastor Tim Versteegen eine Freizeit im Gemeindehaus (und an der Nordsee) verlebt. Jungs und Mädels im Alter von 13+. Einer der älteren Jugendlichen hat eine herausgesprungene Kniescheibe. Sie war zwar wieder an Ort und Stelle, aber er leidet unter ziemlichen Schmerzen, die auch mit Hochlagern und kalten Umschlägen nicht so einfach weggehen. Es wird diskutiert, ob sie mit ihm zur Notfallambulanz ins Krankenhaus fahren sollten. Er will noch ein wenig warten. Und dann höre ich nach dem Gottesdienst diese pubertierenden Jugendlichen für ihn beten! Ich stehe einfach nur dabei, alles was zu sagen ist, wird ausgesprochen und in die Hände Gottes gelegt. Ich brauche mich nur schweigend und mit brennendem Herzen all dem anschließen. In meinem alten Beruf hatte ich gelernt, dass mit 13-Jährigen hinsichtlich mit Gott und Kirche nichts zu machen sei, die hätten dann ganz andere Themen und Sorgen. Hier werde ich eines Besseren belehrt und kann nur noch staunen! Anscheinend muss man das nur anders und richtig anpacken. Glaube kann Lebenswenden sehr wohl konstruktiv begleiten, und das wird doch auch erwartet. Ausgerechnet in der pubertären Orientierungsphase hier ein Tabu pflegen? Ich weiß, dass das [„Teenie-Bible-College“] in meiner Gemeinde genau in dieser Lebensphase startet. Das Konzept der geistlichen Begleitung der Jugendlichen geht über zwei Jahre.
So ist der Urlaub dieses Jahres von Licht und Schatten geprägt gewesen, wie das unbeständige Wetter. Natürlich gab es auch viel Schönes, neben Friedrichstadt „an sich“: Das Schleswig-Holstein-Musikfestival mit einem Konzert im Schleswiger Dom, einen liturgischen „Even-Song“ am Sonntagabend in der vollbesetzten (!) St. Laurentius-Kirche von Tönning, Orgel & Trompete im Meldorfer Dom, viel Landschaft, das Nolde-Museum in Seebüll und das beeindruckend restaurierte ehem. Zisterzienserkloster Løgum mit seiner Backsteingotik, ein wenig Radfahren wenn es nicht regnete und sogar Schwimmen bei Sonne in einer der gepflegten und kostenlosen Badestellen an einem der Sielzüge (Kanäle).
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