Hörendes Gebet

Hörendes Gebet

Die Evangelische Allianz Osnabrück veranstaltet zusätzlich zur Allianz-Gebetswoche jährlich ein Extra-Event. 2019 war es ein Seminar über „Hörendes Gebet“. Ursula und Manfred Schmidt sind die führenden Protagonisten dieser Gebetsform in Deutschland und werden auch 2020 beim ökumenischen Kongress [„Pfingsten 21“] in Würzburg einen Workshop zu ihrem Thema leiten.

Hörendes Gebet setzt Einübung in die „Stille vor Gott“ voraus. Wer dies nicht kennt oder kann, ist nicht geeignet. Hörendes Gebet ist eine Weise prophetischen Betens. Wir sollen nach der Prophetengabe streben (1. Kor. 14, 39). Aber sie ist ein Charisma, das der Heilige Geist frei zuteilt. Ob jemand diese Gnadengabe bekommen hat, unterliegt dem Charisma der Unterscheidung der Geister, das vor allem Leitungsverantwortliche anwenden müssen. [Regeln zur Unterscheidung der Geister] Ich darf also mit „Hörendem Gebet“ nicht einfach so für mich loslegen, sondern unterstelle mich der Gruppen- oder Gemeindeleitung.

Bereits hier wird die hohe Verantwortung deutlich, der Beter/innen und Gemeindeleitungen unterliegen, wenn prophetisches Beten praktiziert wird. Ob ich mein inneres Bild vom Geist Gottes empfangen habe, oder ob es aus Verdrängungen und Wunschvorstellungen meiner eigenen inneren Persönlichkeit stammt, oder ob sich gar der Verwirrer meiner Unsicherheiten und Selbstdarstellungsbedürfnisse bedient, darf nicht leichtfertig und oberflächlich entschieden werden. Viele verwechseln oft mindestens die ersten beiden Fälle. Die Schwelle zum geistlichen Missbrauch vermeintlicher Charismen ist sehr niedrig, wenn ich mit der Autorität Gottes jemandem etwas zuspreche, sei es positiv oder – noch schlimmer – negativ. „Ich habe Gott gefragt, und er hat mir gesagt…“ duldet nämlich keinen Widerspruch bzw. lässt sich nicht mit vernünftigen Argumenten widerlegen. Der Anspruch, mit der Autorität Gottes zu reden, verlangt, dass er so stehen bleibt bzw. dass ihm zugestimmt wird. Andernfalls impliziert er ja die Möglichkeit, dass das Gesagte gar nicht von Gott stammt. Zieht sich ein prophetisch Redender dann beleidigt zurück, ist das ein wesentliches Indiz dafür, dass seine/ihre Rede nicht sauber abgewogen ist.

Ich plädiere also für eine große Vorsicht beim Ausüben prophetischer Charismen! Bei so manchen Evangelisationen bezweifle ich die geistliche Kompetenz extrem-charismatischer Redner/Rednerinnen gerade auf diesem Gebiet. Je größer eine Versammlung ist, desto wahrscheinlicher ist die Anwesenheit von Menschen, die von einer der gängigen körperlichen oder psychischen Zivilisationskrankheiten geplagt werden. Da ist es ein Leichtes so zu tun, als wäre man ein/e Heilungsprophet/in. Auch das Sprachengebet ist zunächst einmal [kein Indiz für die Anwesenheit des Heiligen Geistes], ebenso wenig Phänomene wie das „Ruhen im Geist“ oder andere.

Mir ist beim Seminar aufgefallen, dass es eigentlich gar nicht um  „hörendes“ Beten geht, sondern um „aufmerksames“ Beten, und dabei handelt es sich wesentlich um innere Bilder, welche die Beter einander mitteilen: Also eigentlich „sehendes Beten“. Es ist besser, es in kleinen Gruppen zu praktizieren, damit derjenige, für den gebetet wird, in aller Freiheit für sich bestimmen kann, ob ihn ein Eindruck, ein Bild, eine Vision voranbringt oder nicht. In einer Zweierschaft jemandem meinen Eindruck mehr oder weniger aufzudrängen, lehne ich ab. Da sind mir die täglichen Losungen oder andere Bibellektüre doch lieber, denn hier muss ich die Autorität Gottes für mich persönlich nicht hinterfragen. Und ein guter Tipp eines Freundes ist mir sehr lieb, auch wenn er nicht im Einzelnen die Autorität Gottes dafür in Anspruch nimmt. Dass mir etwas gesagt wird, kann ich dennoch sehr wohl für mich mit der Stimme Gottes identifizieren. Auf diese Weise höre ich Gott persönlich ziemlich oft und eindringlich und es hilft mir außerordentlich effektiv weiter, z.B. [hier] oder [hier].

Ob unsere inneren Bilder von Gott sind oder nur ein Spiegelbild unserer eigenen Verdrängungen, dazu haben C. G. Jung zu Imagination und Viktor E. Frankls Logotherapie umfangreiche Vorarbeiten geleistet. Gegenwärtig ist die „Wertimagination“ von Uwe Böschemeyer ein therapeutisches Verfahren, das persönlichkeitsbildend, identitätsstiftend und resilienzstärkend wirkt. Böschemeyers Verdienst ist es, auf die unschätzbaren Dienste zu verweisen, die der persönliche Glaube dazu beiträgt. Für mich wird damit deutlich, dass in diesem ganzen komplexen Sektor umfangreiche Professionalität gefordert ist, um Missbrauch durch „Hobby-Propheten“ zu vermeiden. Einen guten Einblick dazu hat der [Wiener Polizeiseelsorger Uwe Eglau] ins Internet gestellt. Diese Zusammenhänge sind im Seminar kaum zur Sprache gekommen, bis auf den schlichten Hinweis, dass Esoterik halt „nach innen gerichtet“ sei und Hörendes Gebet sich auf die „von außen kommende“ Stimme Gottes konzentriere.

Was nehme ich mit?

Ursula und Manfred Schmidt haben den Teilnehmern eine Checkliste an die Hand gegeben. Hörende Beter/innen sollen sie „wie ein Sieb gebrauchen“, und wenn etwas an irgendeiner Stelle zu den Eindrücken nicht durchkommt, dann ist geflissentlich der Mund zu halten:

  1. Passt der gewonnene Eindruck zu Geist und Zeugnis der Bibel?
  2. Sind Hinweise / Lebenstipps natürlich ableitbar, d.h. passen sie zum Persönlichkeits- bzw. Charismenprofil der betreffenden Person, für die gebetet wird – auch wenn ich die Person gar nicht kenne? Das Urteil darüber steht der Person zu!
  3. Sind es meine Ängste, meine Wünsche, meine inneren Bilder, die hier hochgekommen sind?
  4. Wollte ich das der Person immer schon längst einmal gesagt haben – und verpacke es missbräuchlich in ein Wort mit der Autoriät Gottes? Kommt hier mein eigener Frust über verpasste Gespräche ans Licht?
  5. Konnte ich dem Anderen etwas abspüren: Stimmung, Seele, Situation? Bin ich empathisch? Möchte ich mit den Augen Jesu sehen?
  6. Habe ich empfangen oder selbst produziert und auf den anderen projiziert (psychologische Übertragung von Rollenbildern)? Analysiere ich und assoziiere ich es dann einfach?

Und einen 7. Punkt füge ich noch ganz grundsätzlich an:

Hilft es dem anderen? Oder schafft es möglicherweise neue Verwirrung? Gebe ich den Anderen vorbehaltlos frei: zur Zustimmung, Ablehnung oder unkommentiertem Auf-sich-beruhen-lassen? Sollte ich auch nur den geringsten Anschein haben, dass mein Wort nicht helfen könnte, behalte ich das „Gehörte“ oder „Gesehene“ für mich!

Hörendes Gebet als Teil von Seelsorge-Beratung wird im sog. [„Sozo“] weiter entwickelt. Ich bin skeptisch, wenngleich ich „helfendes Gebet“ auf Wunsch oder als Angebot innerhalb professioneller Seelsorge schätze. Für Sozo setze ich dieselben strengen Maßstäbe an, die ich als Fazit aus diesem Seminar gezogen habe. Ich habe genug Menschen kennen gelernt, bei denen leichtfertig prophetische Seelsorge-Methoden viel Unheil angerichtet haben und in dessen Folge sich Gemeinden und Einrichtungen mit dem Vorwurf des Sektierertums konfrontiert sehen.