Worms und ich

Worms und ich

„So bin ich durch die Stellen der Heiligen Schrift, die ich angeführt habe, überwunden in meinem Gewissen, und gefangen in dem Worte Gottes. Daher kann und will ich nicht widerrufen, weil gegen das Gewissen etwas zu tun, weder sicher, noch heilsam ist. Gott helfe mir – Amen.“

Kolorierter Holzschnitt von 1556, Künstler unbek.

Gestern vor genau 500 Jahren (18. April 1521) fielen diese Worte vor dem Reichtstag in Worms. Martin Luther hatte sich auf eine Disputation seiner Überzeugungen vorbereitet. Nichts dergleichen war jedoch vorgesehen. Er wurde lediglich gefragt, ob die ausliegenden Schriften auf dem Tisch von ihm stammen würden. Ja. Dann wurde Luther die Frage gestellt, ob er widerrufen wolle – ohne auch nur einen der vorliegenden Inhalte zu erwähnen, geschweige denn zu diskutieren. Eine sachliche, theologische Auseinandersetzung fand überhaupt nicht statt. Inquisition arbeitet mit Machtworten.

Das muss heute anders sein. Vieles aus der Reformationsbewegung hat mit dem 2. Vatikanischen Konzil auch Einzug in den aktuellen röm.-kath. Katechismus (KKK) gehalten (Prof. Dieter Emeis) – Glaubens- und Gewissensfreiheit gehören mittlerweile zu den unveräußerlichen Menschenrechten, die sich alle christlichen Konfessionen zu eigen machen müssen. Die kath. Kirche betont dies oft und unmissverständlich in der Öffentlichkeit. Die Frage ist ja, wer die Einheit der weltweiten Kirche Gottes wirklich sprengt: Der- oder diejenige, die Traditionen in Frage stellt, oder diejenigen, die solche Fragen gar nicht erst zulassen wollen und dies auch durchzusetzen versuchen – bis in unsere Zeit auch mit missbräuchlichen Mitteln und Methoden.

Kirchenfenster im kath. Dom zu Worms.

Spätestens seit dem Einwurf des Hildesheimer Bischofs Heiner Wilmer 2018 im [Interview mit dem Kölner Stadtanzeiger] muss sich auch eine Kirche oder Konfession fragen lassen, wie missbräuchlich die DNA ihrer Organisationsstruktur sein kann. (Wer fragt, wer sorgt für die Behebung der Ursachen? Etwa die Verursacher selber? Genau das sieht die Weiheamtsstruktur der röm. Kirche vor. Eine unabhängige Jurisdiktion gibt es nicht.) Was Luther wenigstens geahnt und Wilmer 497 Jahre später ausgesprochen hat, steht für mich fest: Missbrauch, egal ob sexuell, physisch, geistlich oder Machtmissbrauch steckt in der DNA des römischen und byzantinischen Weiheamtes. Daher gehört es in dieser Form abgeschafft. Sogar Freikirchen sind gegen klerikale Tendenzen nicht immun: Vgl. den Promi-Kult um Gründerpersonen oder TV-Prediger/innen. Eine Re-Klerikalisierung kirchlicher Dienste durch Abschaffung der geforderten Ehelosigkeit oder durch Öffnung des Weihepriestertums für Frauen lehne ich als [viel zu kurzsichtig] ab. Ich plädiere für ein völlig neues Dienstverständnis, das an frühchristlichen Strukturen andockt (AHELP, der „fünffältige Dienst“ gem. Eph 4, 11-12) mit schlanken, charismenorientierten Teams („lean management“), das auch [für postmoderne Menschen plausibel und zukunftsfähig] sein muss. Der römische Katholizismus hat das nötige professionelle Projektmanagement seiner Grundaufgabe verschlafen, nämlich das einer missionarischen Kirche. Das visionäre Konzept liegt seit 2013 vor: Evangelii Gaudium. Im katholischen Deutschland ist der Zug einer darauf aufbauenden pastoralen Strategie leider abgefahren. Bei uns geht katholischer Glaube an musealen Ämterstrukturen zugrunde – was man gut an der Art und Weise ihrer Liturgieen sehen kann. Warum gibt es eigentlich neben den römischen und altorientalischen Riten neue und postmodern authentische Gottesdienstformen nur in den Freikirchen bzw. höchstens mal auf Katholikentagen?

Die Generation 60+ stellt sich zum Gebet rund um und für die Jüngeren auf. („mittendrin“-Konferenz 2015)

Ein derart radikaler Wandel der vorhandenen röm.-kath. Strukturen wäre zu schön, um wahr zu sein. Aber auch ich trete nicht aus der weltweiten Kirche Gottes aus. Vielmehr engagiere ich mich in der geistlichen Gemeinschaft des kleinen [„Mülheimer Verbands“], der Mutter der Pfingstbewegung in Deutschland. Sie ist lokal in Gemeinden formiert. Analog zur „Auszeit“, mit dem der Rückzug des Hamburger Erzbischofs Stefan Heße schöngeredet wird, befindet sich seit 20. Mai 2018 mein römisches Katholischsein „im Sleep-Modus“. Meine spirituelle Verwurzelung ist damit keinesfalls gekappt. Was [anfänglich als Kundschafter-Rolle gedacht] war, hat sich zum [hautnahen wie digitalen Erlebnis] eines geschwisterlichen, synodalen, charismenorientierten und mit [externem Mentoring unterstütztem] Gemeindeleben entwickelt.

Wie allen suchenden Menschen kann ich allen zweifelnden Katholiken nur sagen: Schaut mal um Euch herum, was alles möglich ist!