Die (regionale) Rücklaufquote des [Fragebogens zur kath. Weltsynode] ist ein erschreckendes No-Go! Ich habe im Januar 2022 in meiner Stadt mit einer kleinen eMail-Kampagne noch einmal die Werbetrommel für die Aktion gerührt. Die Reaktionen waren mäßig (nur der ev.-luth. Stadtsuperintendent hat sich direkt geäußert), wenigstens meine Pfarrei hat in ihrem Gemeindebrief korrekt und damit vorbildlich über die Fragebogenaktion berichtet.
Nun das fatale Ergebnis: Im Bistum Osnabrück mit seinen (Ende 2020) 539.935 Katholiken sind 80 ausgefüllte Fragebögen zurückgekommen. 80! Das sind etwas mehr als ein Hundertstel Prozent! 0,148 ‰!
Nur noch in dieser homöopatischen Dosis ist Interesse an weltkirchlicher Zukunftsfähigkeit im kath. Bistum vorhanden – und das bei den eigenen Mitgliedern! Auch der [Fragebogen-Rücklauf zum deutschen Synodalen Weg] 2019 scheint sehr schwach gewesen zu sein – Zahlen habe ich nicht bekommen. (1975 bei der deutschen „Würzburger Synode“ kamen bundesweit 4,5 Mio Fragebögen zurück…) Dabei wird „wir Katholiken sind Weltkirche“ doch immer als (Totschlags-)Argument gegen dringend nötige Reformen angeführt („keine nationalen Alleingänge!“ – von rückwärtsgewandten Bischofskonferenzen hat es bereits mehrere Briefe, von der Zisterzienser-Hochschule Heiligenkreuz sowie von der konservativen Initiative „Neuer Anfang“ Manifeste gegen die angebliche „Protestantisierung“ der kath. Kirche in Deutschland gegeben). Die hierarchische Verfasstheit der Kirche habe „ihre Wurzeln im Offenbarungsgeschehen“ – in der Offenbarung Gottes? Nicht in der Vereinnahmung der Kirche durch den römischen Kaiser und die Verknüpfung von Staats- und Kirchenamt im deutschen Mittelalter? Sie dürfe nicht in Frage gestellt werden. Ich stelle sie nicht nur in Frage, ich lehne sie ab. Das Kirchensystem vergangener Jahrhunderte mit seinem Machtanspruch und seinem Absturz durch Machtmissbrauch möchte ich nicht retten. Es gehört abgeschafft. Gerade die aus der Zeit gefallene Weihehierarchie steht der Missio Dei, einem missionalen Neuanfang, entgegen. Es ist auch kontraproduktiv für die Ökumene, weil freikirchliche Bewegungen damit von vornherein als unkatholisch ausgeschlossen werden. Die alten Ressentiments! Wer nicht zwischen Erneuerung und Bewahrung zerrieben werden will, muss in diesem Spannungsfeld eine eigene Position beziehen. Ich habe das für mich mit dem [Anheuern bei „Kirche 4.0“] vollzogen. Ich wünsche es auch für das Gebetshaus Augsburg. Der Leiter Johannes Hartl ist (jedenfalls bis jetzt) Gastdozent in Heiligenkreuz. Eine „unheilige Allianz“ alt-evangelikaler Positionen mit katholischen Traditionalisten entsteht.
Dazu passt, dass in meiner Stadt der nächste Kirchenbau profanisiert wird, weil die Unterhaltkosten für die übergeordneten Stellen nicht mehr tragbar sind: Nach der [Melanchthonkirche] wird es diesmal eine katholische sein: [St. Franziskus in der Dodesheide] ist denkmalsgeschützt und kann daher nicht grundlegend umgebaut werden. Die Kirche wird zu einem „Museum für Baukultur“, künftiger Wallfahrtsort nicht mehr für Glaubens-Suchende, sondern für Architektur-Geschichtler. Entworfen von Rudolf und Maria Schwarz, neben der Böhm-Familie wegweisend für die deutsche Kirchenarchitektur nach dem 2. Weltkrieg. Die Stadtteilgemeinde wird sich ein neues geistliches Zentrum suchen müssen, wenn sie denn nicht in die Nachbarkirchen entschwinden möchte, oder einfach ausstirbt.
Kirche degeneriert zum Museum. Diese Vision hat mir [schon vor Jahren bei einem Friedrichstadt-Urlaub] Angst gemacht. Dort war lebendiges Glaubensleben kaum noch zu erleben – aber im Stadtmuseum lässt sich die friedliche Vergangenheit der Konfessionen noch besichtigen: Als musealer Bestandteil der einstigen Stadtidentität, sehr schön zurechtgemacht. Aber den „ökumenischen Kairos“ haben die beteiligten Kirchen mit Karacho verpasst. Ein zunächst lokales Fanal für den jetzt nationalen geistlichen und gesellschaftlichen Bankrott der „großen“ Kirchen – die immer kleiner werden.
„[Neuer Schwung für den Glauben]“, [einen „neuen Aufbruch wagen“] – das ist mit der noch vorhandenen beamteten Menpower bei Katholiken und Lutheranern nicht mehr zu machen. Deutsche Pfarreien sind meilenweit von dem Ziel entfernt, „Zentren des Gebets und der Evangelisation“ zu werden. Der Zug ist abgefahren. Weiter warten, bis „sich“ was ändert? „Jetzt erst recht“ bleiben? In innovationsresistenten Gemeinden? Oder Gruppen, die der Kirche des 19. Jhdts. nachweinen? Die Konfessionen haben doch schon längst damit angefangen, ihre Gleise abzubauen. Einige Bahnsteige sind zwar noch vorhanden: Die Taufe von nach bürgerlichem Recht religiös Unmündigen, Erstkommunion, Konfirmation, Firmung.
Aber ein „Intercity Experimental“ des Glaubens kann dort nicht mehr ankommen. Um Hochzeit und Beerdigung kümmern sich bereits profane Eventmanager. Viele Zigtausend und erste Promis der Kirchenhierarchie haben ihre Sachen gepackt. Die „Feiern der Nähe Gottes an den Knotenpunkten des Lebens“ sind ihres Wesens beraubt und schon seit längerem kaum mehr als kulturelles Brauchtum „weil es halt dran ist und mein Kind in der Klasse nicht als Außenseiter gemobbt werden soll“. In den Zugangskursen ist Gott irgendwie eine „höhere Macht“ und Jesus der Prophet für Friede-Freude-Eierkuchen. Stille- und Dankbarkeitsübungen sind längst esoterischer Standard für Religionsersatz geworden, von den Ersatzliturgien mit Hymnensingen und Handylichtern im Stadion ganz zu schweigen.
Der Glaube gehört nicht ins Museum
Denn Glaube ist eine Beziehungskiste: Gott will Dein Partner sein. Er sucht den Austausch mit Dir. Er redet mit Dir – Du kannst alles nachlesen. Glaube ist Hoffnung gegen alle Hoffnung: Weil Gott die Mächte der Finsternis und des Todes besiegt hat, geht es „hinterm Horizont weiter“. Entlastung von struktureller Schuld ist möglich! Glaube muss raus
- aus der Ideologiefalle („höheres Wesen“, Weltfriedens-Programm),
- aus der Esoterikfalle (spirituelle Methodik ist noch keine Erlösung von der Mitschuld am weltweiten „strukturellem Bösen“),
- aus der Klerikerfalle (wir alle sind Glaubens-Profis, nicht nur die Hauptamtlichen).
Kirche als bunter Haufen von Leuten, die an Christus glauben, muss mehr sein als ein „Verein für ganzheitliche Wellness“. So kommen mir manche Freikirchen vor. Das können andere auch oder sogar besser. In christliche Gemeinden bringen die Menschen ihre Probleme, Fragen, ja: Sünden, inneren und äußeren Kämpfe mit. Solche Leute liebt Gott besonders. Er kennt die Gebrochenheit der Menschheit. Jesus kämpft meine Kämpfe – mich macht das fassungslos – und tröstet mich dennoch, auch wenn die Botschaft der Auferstehung vom Tod als naturwissenschaftlicher Unsinn erscheint. Die Bibel als Märchenbuch.
Kirche – also was habe ich davon?
In meiner Gemeinde versuchen wir gerade, das in Worte zu fassen. Ein Motto, ein Leitsatz der zusammenfasst, was wir wollen und warum wir wichtig finden, dass es uns in unserer Stadt gibt. In meiner Gemeinde kann und möchte ich Resilienz lernen, um mit den kommunikativen und kriegerischen Herausforderungen unserer Epoche umgehen (nicht „fertig“ werden!) zu können. In meiner persönlichen Fassung lautet das Arbeitsmotto:
Ergriffen von der Liebe und der Kraft Gottes
gestalten wir vielfältige Räume,
in denen Menschen aller Generationen
ihr Potential entfalten und Gott begegnen können.
Mein Potential verdanke ich allen, die es mir mitgegeben haben. Gott ist derjenige, der dies angestoßen hat. Sein Geist schenkt mir aber auch neue Ideen, Kreativität und Fertigkeiten, die ich vielleicht noch gar nicht gesehen habe. Die Bibel nennt das „Charismen“. Diese Geschenke Gottes sind schon im „Ergriffensein von der Liebe und der Kraft Gottes“ enthalten. Daher muss ich nicht extra betonen, dass mein Potential gottgegeben ist. Und dass ich unverzagt und zuversichtlich leben und vorankommen möchte (manchmal auch einen ersten Schritt in die Unwegsamkeit hinein tun muss), entspricht meinem Naturell: hoffnungsvoll entfalten! Auch das möchte ich für mich nicht extra betonen.
Was unterscheidet einen solchen Leitsatz von üblichen Weltverbesserungsprogrammen? Oder von anderen Leitbildern katholischer und evangelischer Gemeinden? Es ist die Gottesbeziehung. Wir haben seine Beziehung zu uns als lebendig erlebt. Persönlich, wie von Freund zu Freund. Darum antworten wir, reden mit ihm, beten, vernehmlich. Darum sind wir dankbar für unser Potential. Darum bauen wir beim Entfalten auf Hoffnung und nicht nur auf Kompetenzen, die erlernt und begrenzt sind. Aber die Schnittmengen mit rein humanistischen Idealen sind offenkundig. Wie sollte es auch anders sein, wenn es gilt, die Welt zu erneuern? (Offb. 21, 5) „[Ecclesia, Kirche, ist ein politischer Begriff!]“ sagt der freikirchliche Theologe Johannes Reimer. Gott ist der erste Humanist, Friedensbringer, Gerechtigkeits-Anwalt. Dreieinigkeit ist Kommunikation pur! Gott am Kreuz ist Liebe pur! Zu uns. Für uns. Für Dich. Für mich. Kein Mensch auf dieser Erde soll sich auf ewig verloren vorkommen. Christen waren die ersten Kommunisten. Sie waren Systemsprenger und damit gefährlich für das politische und religiöse System. Darum wurden sie und werden noch immer verfolgt.
„Gott ist gegenwärtig“ (GL 387, EG 165) – in unserer Stadt wollen wir das als Gemeinde der weltweiten Kirche Gottes verwirklichen. Bei uns kann man Gott begegnen, indem wir uns treffen – mit unserer ganzen Unvollkommenheit, und Ohnmacht. Zusammen mit allen Christen, die das auch möchten. Das ist für mich „Sakrament“ genug. Mehr als Mt. 18, 20 braucht es nicht. Mehr „Offenbarungsgeschehen“ als Jesus Christus gibt es nicht.